Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
Erienne.
»Und jetzt, Lyanna, möchte ich dich etwas fragen.« Ephemeres Stimme wurde eine Spur energischer. »Du weißt doch, dass Magie in dir ist, nicht wahr?« Lyanna nickte. »Und du weißt auch, dass sie dir in deinem alten Heim wehgetan hat und dass deine Lehrer dir nicht mehr helfen konnten. Deshalb sind wir in deinen Kopf und in deine Träume gekommen. Um dir zu helfen. Verstehst du das?« Wieder ein Nicken. Lyanna schaute zu Erienne auf, die lächelnd ihr Haar streichelte.
»Gut«, sagte Ephemere. »Das ist sehr gut. Und was glaubst du nun, wie wir dir helfen werden?«
Lyanna überlegte einen Moment. »Ihr macht die schlechten Träume weg.«
»Das ist richtig«, sagte Myriell und klatschte in die Hände. »Wir werden sogar noch mehr tun. Ich weiß, dass die Schmerzen in dir dich manchmal böse machen. Wir werden dir zeigen, wie du die Schmerzen vertreiben und wie du mit der Magie die Dinge tun kannst, die du tun willst.«
»Du hast eine große Begabung, Lyanna«, fügte Cleress hinzu. »Willst du uns helfen, sie für dich sicher zu machen?«
Erienne war nicht sicher, ob Lyanna die letzte Frage verstanden hatte, doch die Kleine nickte.
»Gut. Gutes Mädchen«, sagte Ephemere. »Gibt es sonst noch etwas, das du uns fragen willst?«
»Nein.« Lyanna schüttelte den Kopf und gähnte. »Mami?«
»Ja, meine Liebe. Es ist Zeit fürs Bett«, sagte Erienne. Die Köchin und der Junge, der beim Servieren geholfen hatte, kamen zurück und räumten die Suppenteller ab. Erienne hob unterdessen Lyanna hoch. »Ich bringe sie ins Bett, und dann komme ich wieder hierher. Es kann aber eine Weile dauern.«
Cleress zuckte mit den Achseln. »Lass dir Zeit. Wir werden nicht weglaufen. Nach dieser langen Zeit können wir auch noch etwas länger warten, bis wir mit dir reden können.«
Lyanna war in Eriennes Armen eingeschlafen, bevor sie ihr Zimmer erreicht hatten, und sie regte sich kaum, als Erienne ihr das Nachthemd anzog.
»Das war wohl ein bisschen zu viel für dich, meine Liebe«, flüsterte Erienne. Sie steckte neben ihrer Tochter die Puppe unter die Bettdecke und bekam abermals Schuldgefühle. »Schlaf schön.« Sie küsste Lyanna auf die Stirn und verließ das Zimmer. Leise schloss sie hinter sich die Tür. Draußen wartete Ren’erei.
»Ich bleibe hier und lausche«, sagte sie. »Wenn sie sich rührt und ihre Mutter ruft, dann hole ich dich.«
Erienne küsste sie auf die Wange. Auf einmal war sie sehr erleichtert.
»Danke, Ren’erei«, sagte sie. »Du bist eine echte Freundin, nicht wahr?«
»Ich hoffe es«, antwortete die Elfenfrau.
Erienne eilte ins Esszimmer zurück. Auf dem Tisch waren inzwischen Fleisch und Gemüse auf Serviertellern über Warmhaltekerzen aufgetragen worden. Eine Flasche Wein und Kristallgläser standen auf einem Tablett, und aus Ephemeres langer Pfeife kräuselte sich der Rauch zur
Decke. Erienne musste an Denser denken – wie er an einen Baum gelehnt saß und ruhig seinen übel riechenden Tabak rauchte, während der Rabe über das Ende der Welt diskutierte. Sie lächelte in sich hinein und wünschte sich nicht zum ersten Mal, er sei bei ihr.
»Ist sie gleich eingeschlafen?«, fragte Aviana. Erienne nickte. »Gut, gut. Bediene dich mit Essen und Wein und setz dich näher zu uns, damit wir nicht so laut sprechen müssen.«
Erienne nahm sich etwas Essen und schenkte sich ein halbes Glas Wein ein, bevor sie sich neben Ephemere setzte, die den Rauch mit Händewedeln vertrieb.
»Ich muss mich für diese widerliche Angewohnheit entschuldigen«, sagte sie heiser. »Aber wir stellen fest, dass das Inhalieren unseren Lungen und den schmerzenden Knochen gut tut. Leider ist es, wie du hören kannst, nicht ganz so gut für die Stimme.« Sie gab die Pfeife an Aviana weiter, die einen tiefen Zug nahm und hustend den Rauch einatmete, der nach Eiche und Rosen und einem süßen Kraut roch, das Erienne nicht recht einordnen konnte.
Als sähe sie die Elfenfrauen zum ersten Mal, staunte Erienne nun über ihr Alter und ihre Gebrechlichkeit. Im Licht der Kerzen und Lampen schien Ephemeres Haut über dem Gesicht so straff gespannt, dass man meinen mochte, sie könne jeden Augenblick reißen. Bleich war die Haut unter dem dichten weißen Haar und bildete einen starken Kontrast zu den funkelnden, dunkelgrünen Augen, die immer noch voller magischer Vitalität waren.
Ihre Gewänder hingen an einem fleischlosen Körper, aus dem ein langer, dünner Hals voller Sehnen und Venen wuchs. Stolz und
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