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Der Canyon

Der Canyon

Titel: Der Canyon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas - Preston
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sich konnte Weed gerade noch wie einen Nebelschleier am Horizont das Ende der Mesa der Alten sehen. In ihre Flanken waren unzählige Canyons gegraben, der größte davon war der Joaquin Canyon. Dieser führte zum Labyrinth, wo er den Dinosaurierjäger erschossen hatte, und von da bis zum Fluss war alles offen.
    Genau dorthin wollten sie.
    Es schien ihm eine Ewigkeit her zu sein, dass er diesen Prospektor ausgeschaltet hatte – kaum zu fassen, dass das erst – wie lange? – acht Tage her war. Seitdem war eine Menge schiefgegangen.
    Er hatte das Notizbuch und war dabei, den Rest wieder geradezurücken. Die beiden würden auf den einzigen Pfad über den Navajo Rim zuhalten, also in südwestlicher Richtung durch die Badlands gehen und den Bergrücken nahe am Eingang des Tyrannosaur Canyon kreuzen. Dieser bildete eine Art natürliches Nadelöhr, wo mehrere Nebenschluchten aufeinandertrafen, und da mussten sie durch.
    Er konnte einen Bogen nach Süden schlagen, um den Fuß des Navajo Rim, und dann wieder nach Norden schwenken, um ihnen am Scheitel des Tals eine Falle zu stellen. Er würde sehr schnell sein müssen, aber in nicht einmal einer Stunde würde alles vorbei sein.
    Er kroch von seinem Aussichtspunkt herunter, vergewisserte sich, dass er nicht gesehen werden konnte, und machte sich in strammem Tempo auf den Weg, südwärts durch die Badlands auf den Sandsteinwall des Navajo Rim zu.
    Morgen um diese Zeit würde er im ersten Flieger nach New York sitzen.

4
    Melodie Crookshank ging in östlicher Richtung die Neunundsiebzigste Straße entlang; das Museum ragte vor ihr auf, die Fenster der obersten Stockwerke blitzten in der Morgensonne. Sie hatte kein Auge zugetan und war fast die ganze Nacht einen belebten Abschnitt des Broadway auf und ab spaziert, weil ihre Gedanken einfach nicht zur Ruhe kamen. Irgendwo in der Nähe des Times Square hatte sie einen Burger gegessen und später am Lincoln Center Tee getrunken.
    Sie bog in die Lieferantenzufahrt ein, die zum Eingang für die Mitarbeiter führte, und sah auf die Uhr. Viertel vor acht. Sie hatte oft nächtelang gearbeitet, während sie an ihrer Doktorarbeit geschrieben hatte, deshalb war sie daran gewöhnt, doch diesmal war es irgendwie anders. Ihr Verstand war ungewöhnlich klar und scharf – mehr als frisch. Sie drückte auf die Klingel am Nachteingang und zog ihre Ausweiskarte durch das Lesegerät.
    Sie durchquerte die Rotunde und eine Reihe prächtiger Ausstellungssäle. Es hatte immer wieder einen besonderen Reiz, am frühen Morgen durch das leere Museum zu laufen, bevor sonst jemand da war; zwischen den Vitrinen war es dunkel und still, nur das Klappern ihrer Absätze auf dem Marmorboden war zu hören.
    Sie nahm die übliche Abkürzung durch die Museumspädagogische Abteilung, hielt ihre Ausweiskarte vor den Sensor, um einen Aufzug zu rufen, wartete, bis er herbeigerumpelt kam, und benutzte die Karte ein zweites Mal, um sich in den Keller bringen zu lassen.
    Die Türen glitten auf, und sie betrat einen Kellerflur. Es war kühl und still hier in den Eingeweiden des Museums, so unveränderlich wie in einer Höhle, und sie fand es jedes Mal aufs Neue gruselig. Die Luft schien immer ein wenig nach altem Fleisch zu riechen.
    Sie ging rasch zum Mineralogielabor, vorbei an Türen über Türen, hinter denen die Fossilien lagerten: Dinosaurier der Trias, des Jura, der Kreidezeit, Säugetiere des Oligozäns, des Eozäns – es war wie ein Spaziergang durch die Evolution. Sie bog um eine Ecke und befand sich im Laborflur, von dem aus schimmernde Edelstahltüren zu den diversen Laboratorien führten – Mammalogie, Herpetologie, Entomologie. Sie erreichte die Tür mit der Aufschrift MINERALOGIE, steckte ihre Karte ins Sicherheitsschloss, schob die Tür auf und tastete nach dem Lichtschalter. Die Neonröhren flackerten stotternd auf.
    Sie blieb stehen. Durch die Probenregale hindurch sah sie, dass Corvus bereits da war – er war über einem Mikroskop eingeschlafen, sein Diplomatenkoffer stand neben ihm. Was tat er hier? Doch die Antwort drängte sich ihr auf, sobald sie sich die Frage gestellt hatte: Er war früh hereingekommen, um sich ihre Arbeit selbst anzusehen – und das sogar an einem Sonntagmorgen.
    Zögerlich trat sie einen Schritt vor, räusperte sich. Er rührte sich nicht.
    »Dr. Corvus?« Selbstbewusst ging sie auf ihn zu. Der Kurator war auf dem Tisch eingeschlafen, den Kopf in die Armbeuge gelegt. Sie schlich sich näher heran. Er hatte sich eine Probe

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