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Der Canyon

Der Canyon

Titel: Der Canyon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas - Preston
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geheimnisvolles Summen, beinahe wie Gesang. Ein greller Lichtblitz fuhr herab, dann noch einer und noch einer, sie explodierten in der verwüsteten Landschaft, bis ein wahrer Feuerregen vom Himmel fiel. Die verwirrten und verängstigten Schreie und Rufe von Tieren erhoben sich zu allen Seiten wie ein Chor der Angst. Rudel kleiner Tiere rasten kopflos durch die verwüstete Landschaft, als der Feuerregen immer heftiger wurde.
    Eine Herde panischer Coelophysis rannte vor ihr vorbei, und sie schwang den gewaltigen Kopf mitten hinein, riss und biss um sich, bis überall zuckende Glieder, verstümmelte Körper und Schwänze herumlagen. Gemächlich verspeiste sie die Stücke und schnappte gelegentlich verärgert nach dem Feuerregen, der sich bald abschwächte, bis eine Art Sand sacht vom Himmel fiel. Sie fraß sich satt und ruhte danach, vollkommen gedankenlos. Sie merkte nicht, dass die Sonne verschwunden war und die Farbe des Himmels von Gelb zu Orange und schließlich zu Blutrot gewechselt hatte, dass der Himmel mit jedem Augenblick dunkler wurde und gewaltige Hitze von überall und nirgendwo zugleich ausstrahlte. Die Luft selbst wurde immer heißer, bis sie so heiß war, wie sie es noch nie erlebt hatte.
    Die Hitze stachelte sie schließlich zum Handeln an, wie auch der Schmerz von den vielen Wunden an ihrem Rücken.
    Sie stand auf, ging zu dem Zypressensumpf, suchte ihre übliche Stelle für ein Schlammbad auf, warf sich zu Boden und wälzte sich, um sich mit kühlem, schwarzem Schlamm zu bedecken.
    Allmählich wurde es dunkel. Ihre Sorge ließ nach. Alles war in Ordnung.

1
    Melodie Crookshank brachte die Daten auf ihrem Computerbildschirm ins HTML-Format, bearbeitete Bilder, verfasste Unterschriften dazu und legte letzte Hand an den kurzen Artikel, den sie in einem Ausbruch fiebriger Aktivität verfasst hatte. Ihre Batterie war so gut wie leer – sechzig Stunden ohne Schlaf –, aber sie fühlte sich immer noch aufgedreht. Dies war einer der bedeutendsten Aufsätze in der Geschichte der Paläontologie, und er würde einen Aufstand auslösen. Zweifler würden auf den Plan treten, Konservative alles verwerfen, Eiferer sich berufen fühlen, sie bloßzustellen, oder ihr gar Betrug vorwerfen – aber die Daten waren gut. Sie würden allem standhalten. Und die Bilder waren tadellos. Darüber hinaus hatte sie noch ein unbearbeitetes Plättchen von der Probe übrig, das sie entweder dem Smithsonian oder Harvard anbieten würde, damit deren Paläontologen eine unabhängige Untersuchung durchführen konnten.
    Sobald sie den Artikel online zum Journal of Vertebrate Paleontology übermittelte, würde die Hölle losbrechen. Nur einer brauchte ihn zu lesen, dann würden ihn alle lesen, und ihre Welt würde nie wieder dieselbe sein.
    Sie war fertig – zumindest beinahe. Ihr Zeigefinger schwebte schon über der ENTER-Taste, bereit, die E-Mail mit dem angehängten Artikel abzuschicken.
    Es klopfte an der Tür, und sie fuhr erschrocken herum. Der Stuhl klemmte noch unter dem Türknauf. Sie warf einen Blick auf die Uhr: Fünf.
    »Wer ist da?«
    »Putzkolonne.«
    Sie seufzte, stand vom Tisch auf, ging zur Tür und befreite den verkeilten Stuhl. Sie wollte gerade die Tür aufschließen, zögerte jedoch plötzlich.
    »Putzkolonne?«
    »Hab ich doch gesagt.«
    »Frankie?«
    »Wer denn sonst?«
    Sie schloss die Tür auf und erkannte erleichtert die magere, vertraute Gestalt von Frankie, knochig und unrasiert, der wie immer nach miesen Zigarren und noch schlechterem Whiskey stank. Er schlurfte herein, und sie schloss die Tür hinter ihm wieder ab. Er ging im Labor herum, leerte die Mülleimer in einen großen Plastiksack und pfiff dabei unmelodisch vor sich hin. Er tauchte unter ihren Schreibtisch, schnappte sich den Mülleimer, aus dem Coladosen und Mars-Verpackungen quollen, stieß sich den Kopf an, als er sich wieder aufrichtete, wobei einige der leeren Coladosen herausfielen, auf der Tischplatte landeten und Cola auf das Stereozoom-Mikroskop spritzte.
    »'tschuldigung, tut mir leid.«
    »Schon gut.« Sie wartete ungeduldig darauf, dass er endlich fertig wurde. Er leerte den Mülleimer, wischte kurz mit dem Ärmel über den Schreibtisch und stieß dabei auch noch an das Fünfzigtausend-Dollar-Mikroskop. Melodie fragte sich, warum manche Menschen Entdeckungen in Höherer Mathematik machen konnten, während andere nicht einmal in der Lage waren, Müll einzusammeln. Rasch schob sie diesen Gedanken beiseite. Das war gemein von ihr, und sie

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