Der Canyon
gar nichts, ehe du mir nicht sagst, wo meine Frau ist.«
»Tu, was ich dir sage, oder sie ist tot.«
»Dann kriegst du dieses Notizbuch nie zu sehen.«
Maddox blickte auf die Uhr. Es waren schon dreieinhalb Minuten vergangen. Mit einer Hand am Lenkrad gab er Gas und fuhr so zügig auf den Highway, dass er qualmende Reifenspuren auf dem Parkplatz hinterließ. »Sie ist auf dem alten Campingplatz am Madera Creek, kennst du den? Sechzig Kilometer südlich von hier am Rio Grande. Das Miststück hat sich gewehrt, sie hat sich verletzt, sie blutet, mein Partner ist bei ihr, und wenn du nicht tust, was ich dir sage, werde ich ihn anrufen, und er wird sie erschießen. Ganz einfach. Jetzt steck das Handy in die Tüte und wirf sie raus. Jetzt.«
»Das sage ich dir: Wenn sie stirbt, bist du ein toter Mann. Ich jage dich bis ans Ende der Welt und bringe dich um.«
»Hör auf zu quatschen wie ein Held und tu, was ich gesagt habe!«
»Ich mach's ja schon.«
Maddox hörte ein Rascheln, und dann war das Gespräch unterbrochen. Er stieß den angehaltenen Atem aus, sah auf die Uhr, stellte die Zeit auf die Sekunde genau fest und blickte auf seinen Tachometer. Das Notizbuch musste genau sechs Komma fünf Kilometer südlich des Parkplatzes liegen. Er schaltete sein Handy ab und behielt exakt die Geschwindigkeit bei. Er hatte den Highway vorher sorgfältig ausgekundschaftet, Entfernungen und Fahrzeiten ermittelt und die Kilometermarken notiert. Er wusste, dass sich das Notizbuch auf einem bestimmten Straßenabschnitt von höchstens einem halben Kilometer Länge befand.
Maddox kam an der Kilometermarke vorbei, ging vom Gas, rollte sämtliche Fenster herunter und wählte Broadbents Handynummer. Gleich darauf hörte er von draußen ein leises Klingeln: Und da lag sie am Straßenrand, die verschlossene Gefriertüte. Er fuhr langsam vorbei, schaltete den Suchscheinwerfer auf dem Dach seines Range Rovers ein und suchte die Umgebung ab, um sich zu vergewissern, dass Broadbent ihm nicht irgendwo auflauerte. Doch in alle Richtungen erstreckte sich nur die leere Landschaft. Er zweifelte nicht daran, dass Broadbent nach Süden raste, zum Madera-Campingplatz. Er würde vermutlich in Abiquiú anhalten, um die Polizei und einen Krankenwagen zu alarmieren. Maddox hatte nicht viel Zeit, sich das Notizbuch zu holen und zu verschwinden.
Er wendete, fuhr zurück zu der Tüte, sprang aus dem Wagen und nahm sie an sich. Als er wieder im Auto saß und beschleunigte, riss er sie mit der rechten Hand auf und tastete nach dem Notizbuch.
Da war es. Er zog es heraus und sah es sich an. Es war in altes Leder gebunden, und auf der Rückseite war sogar ein Blutfleck zu erkennen. Er schlug es auf. Reihen über Reihen von Zahlen, die aus je acht Ziffern bestanden, genau wie Corvus gesagt hatte. Das war's. Er hatte es geschafft.
Er fragte sich, wie Broadbent reagieren würde, wenn er den Madera Campground völlig menschenleer vorfand. Bis ans Ende der Welt.
Er hatte das Notizbuch. Jetzt war es an der Zeit, die Frau loszuwerden.
5
Knapp einen Kilometer südlich von der Stelle, wo er das Notizbuch aus dem Auto geworfen hatte, schaltete Tom die Scheinwerfer aus, bog vom Highway ab, holperte über eine Böschung und durchbrach einen Stacheldrahtzaun. Er fuhr weiter in die dunkle Prärie hinein, bis er das Gefühl hatte, er sei weit genug von der Straße entfernt. Dann stellte er den Motor ab und wartete mit hämmerndem Herzen.
Als der Mann behauptet hatte, Sally sei auf dem Madera-Campingplatz, hatte Tom sofort gewusst, dass er log. Zu dieser Jahreszeit wimmelte es dort von kleinen Kindern, und selbst die abgeschirmten Hütten waren zu leicht einzusehen, zu wenig geschützt. Die Geschichte sollte ihn nur nach Süden locken.
Ein paar Minuten später sah er die Scheinwerfer eines Wagens von hinten kommen. Er war vorhin an einem Range Rover vorbeigefahren und hatte dasselbe Auto vor dem kleinen Laden stehen sehen. Er hatte keinen Zweifel mehr daran, dass in diesem Wagen der Entführer saß, als er genau an dem Straßenabschnitt langsamer wurde, wo er das Notizbuch aus dem Fenster geworfen hatte. Ein Suchscheinwerfer flammte auf und tastete die Prärie ab. Tom fürchtete plötzlich, entdeckt zu werden, doch der Lichtstrahl suchte nur die unmittelbare Umgebung ab. Der Wagen wendete, fuhr zurück; ein Mann sprang heraus und hob die Tüte auf – er war groß und schlaksig, aber zu weit entfernt, als dass Tom ihn hätte erkennen können. Gleich darauf war der Mann
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