Der Canyon
blieb Corvus stehen. Er spürte ein Prickeln im Nacken, als beobachte ihn jemand. Er drehte sich um, doch der trübe Korridor hinter ihm war leer. Er hätte schwören können, dass er hinter sich das leise Scharren eines Schuhs auf Zement gehört hatte. Er wartete auf einen weiteren Schritt, darauf, dass jemand um die Ecke bog, aber nichts geschah. Er fluchte in sich hinein; wahrscheinlich ein Wachmann, der seine Runde drehte.
Er umklammerte seine Aktentasche und ging weiter auf die Doppeltür zu, hinter der sich der große Lagerraum der Dinosaurierknochen befand. An der Tür blieb er stehen, weil er glaubte, hinter sich wieder ein Geräusch gehört zu haben.
»Sind Sie das, Melodie?« Seine Stimme klang in dem hallenden Flur laut und unnatürlich.
Keine Antwort.
Ärger flammte in ihm auf. Dies wäre nicht das erste Mal, dass einer der Doktoranden oder Gastkuratoren dabei erwischt wurde, wie er herumschlich und versuchte, fremde Positionsdaten in die Finger zu bekommen. Vielleicht war derjenige sogar hinter seinen Daten her – womöglich hatte jemand von dem T-Rex erfahren. Vielleicht hatte Melodie doch geredet. Plötzlich war er froh darüber, dass er so vorausschauend gewesen war, die Proben und Daten in seine Obhut zu nehmen.
Er wartete und lauschte.
»Hören Sie, ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich lasse es mir nicht bieten, dass Sie mir nachschleichen«, sagte er mit scharfer Stimme. Er trat einen Schritt vor und wollte um die Ecke treten, um sich dem Verfolger zu stellen, traute sich dann aber doch nicht. Er merkte, dass er Angst hatte.
Das war absolut lächerlich. Er blickte sich um und sah die schimmernden Metalltüren der Dinosaurierkammer. Er ging hinüber und schob so leise wie möglich seine Schlüsselkarte durch das Lesegerät. Die Sicherheitsleuchte wechselte von Rot zu Grün, und der Schließmechanismus öffnete sich leise. Er schob die Tür auf, trat ein, schloss sie hinter sich und hörte die massiven, elektrisch gesteuerten Riegel wieder zugleiten.
In der Tür befand sich ein kleines Fenster mit verdrahtetem Glas, durch das er in den Flur hinausschauen konnte. Jetzt würde er feststellen, wer ihn verfolgte. Er würde gegen denjenigen eine heftige offizielle Beschwerde einlegen, wer immer es sein mochte; dieses Verhalten war inakzeptabel.
Eine volle Minute verstrich, und dann fiel plötzlich ein Schatten über das kleine Fenster. Ein Gesicht erschien im Profil, wandte sich dann urplötzlich um und blickte durch die Scheibe herein.
Erschrocken wich Corvus in die Dunkelheit des Lagerraums zurück, doch der Mann hatte ihn gesehen, das wusste er. Er wartete, in einen Mantel völliger Dunkelheit gehüllt, und starrte auf das Gesicht. Der Kopf war von hinten beleuchtet, das Gesicht lag teilweise im Schatten, doch er konnte die Umrisse erkennen, die Haut, die sich straff über hervorstehende Wangenknochen spannte, ein wenig pechschwarzes Haar, eine kleine, makellos geformte Nase und Lippen, die aussahen wie zwei dünne Tonwülste. Die Augen konnte er nicht erkennen, nur zwei schattige Kuhlen unterhalb der Brauen. Dieses Gesicht kannte er nicht. Das war kein Angestellter des Museums, und auch kein Doktorand. Falls dieser Mann ein Gastkurator des paläontologischen Instituts war, musste er sehr unbedeutend sein, wenn Corvus ihn nicht kannte – das Feld war klein.
Corvus wagte kaum zu atmen. Der Ausdruck völliger Ruhe und Gelassenheit im Gesicht dieses Mannes machte ihm Angst – und diese grauen, toten Lippen. Der Mann verharrte reglos am Fenster. Dann war ein leises, schleifendes Geräusch zu hören, ein Kratzen, ein schwaches Klicken. Der Türknauf auf der Innenseite drehte sich langsam um etwa neunzig Grad und kehrte dann ebenso langsam in seine ursprüngliche Stellung zurück.
Corvus konnte es nicht fassen: Der Mistkerl versuchte doch tatsächlich, hier hereinzugelangen. Na, viel Glück. Da hier drin Fundstücke im Wert von mehreren Millionen Dollar lagerten, hatte nur etwa ein halbes Dutzend Leute Zugang zu diesem Raum – und dieser Mann gehörte ganz gewiss nicht dazu. Corvus wusste, dass die Tür aus zwei Schichten Edelstahl bestand, jeweils sechs Millimeter dick, mit einem wabenförmig verstärkten Kern aus Titan und einem Schloss, das unmöglich zu knacken war.
Ein weiteres leises Schleifen, ein Klick, noch ein Klick. Die Sicherheitsleuchte auf der Innenseite der Tür glühte weiterhin rot – wie Corvus vorhergesehen hatte. Er hätte beinahe laut gelacht und den Idioten
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