Der Cartoonist
es
nicht, sondern brüllte es heraus, so laut sie konnte.
Scott ließ den
Zeichner, der noch immer keinen Laut von sich gegeben hatte, widerstrebend los
und zog sich torkelnd zurück. Ihm war schwindelig. Erst jetzt dämmerte
ihm, dass er den Alten beinahe umgebracht hätte.
Im hinteren
Teil des Zimmers jammerte der Großvater der Zwillinge wie ein einsamer Wolf auf
der Suche nach Gefährten.
Nachdem die
Krankenschwester Scotts Arm freigegeben hatte, blieben beide nebeneinander
stehen, schwiegen betroffen und starrten auf den alten Mann. Sein Kahlkopf, von
dem sich die Haut schälte, hing schlaff nach vorne. Aus den Mundwinkeln rann
Speichel, tropfte auf das Hosenbein des Schlafanzugs und bildete dort dunkle
Flecken.
Fluchtartig
verließ Scott das Zimmer, die Faust um die Zeichnungen gekrallt. Während er
durch die Außentüren der Station stürmte, um in sein Büro im zweiten Stock
zurückzukehren, verfolgte ihn das klägliche Gejammer des Großvaters.
13
Erst beim
sechsten Läuten des Telefons nahm Kristas Schwester Klara ab. »Klara, hier ist
Scott .« »Hi...«
»Hör mal, sind
Krista und Kath schon weg ?« Er wusste zwar, dass sie
bereits losgefahren sein mussten, hoffte jedoch inständig, dass irgendetwas
Unvorhergesehenes sie aufgehalten hatte. Nach der Digitaluhr auf seinem
Schreibtisch war es jetzt 19:12.
»Ja, schon
seit heute früh. Deine Frau war mal wieder so gereizt wie üblich. Hat sich so
aufgeführt, als wüsste sie alles besser, die kleine Klugscheißerin. Stimmt was
nicht? Du klingst ziemlich fertig .«
»Tut mir Leid,
Klara, aber ich hab jetzt keine Zeit für Erklärungen .«
Er trennte die
Verbindung und wählte gleich darauf
Carolines
Nummer in Boston. Caroline nahm schon beim ersten Klingeln ab. »Scott? Hi!«
»Sind Sie
schon da ?« , platzte Scott ohne jede Einleitung heraus.
»Krista und Kath?«
»Nein«,
erwiderte Caroline knapp, da sie merkte, wie dringend Scott die Sache war.
»Noch nicht. Was ist... ?« »Scheiße .«
»Scott, was
ist los? Ist bei dir alles in Ordnung ?« Scott schwieg
einen Augenblick, atmete schwer und versuchte sich zusammenzureißen. Er konnte
Caroline unmöglich von der ganzen Sache erzählen - jedenfalls jetzt noch nicht.
Es hatte keinen Sinn, sie noch weiter zu beunruhigen. Möglicherweise hatte das
alles ja gar nichts mit seinen beiden Frauen zu tun, vielleicht hatte er
einfach überreagiert. Sein Volvo war ja bei weitem nicht der Einzige im ganzen Land ...
Dennoch war
ihm die Sache unheimlich. Mittlerweile fiel es ihm schwer, die Zeichnungen des
Alten als bedeutungslos abzutun. Nach diesen Unterwasser-Szenen jetzt auch noch
der Volvo auf dem Cartoon - das traf zu sehr ins Schwarze, als dass er es als
puren Zufall hätte ansehen können. Das Problem lag darin, dass er zum Zeichner
durchdringen musste, wenn er sich Klarheit verschaffen wollte. Und das hatte
sich bislang als unmöglich erwiesen.
»Tut mir
Leid«, sagte er schließlich. »Ja, ist alles bestens hier. Ich bin einfach nur
ein bisschen nervös und hätte gern mit Krista gesprochen. Wir haben uns
gekabbelt, ehe sie losfuhr. Wollte mich nur entschuldigen .«
»Machst du dir
Sorgen, weil sie mit dem Wagen unterwegs sind ?«
»Tja, ein
bisschen schon .«
»Na ja, das
brauchst du aber nicht. Krista ist eine gute Fahrerin. Wahrscheinlich haben sie
den Nachmittag damit verbracht, in all diesen neuenglischen Antiquariaten
herumzustöbern. Und selbst wenn sie durchgefahren sind, könnten sie jetzt noch
gar nicht da sein. Sicher treffen sie hier bald ein .«
»Wahrscheinlich
hast du Recht« Zwar klangen Carolines Worte einleuchtend und beruhigend und er
hätte ihr gern geglaubt - konnte es aber nicht. »Danke«, sagte er. »Sag ihr
bitte, dass sie mich gleich anrufen soll, wenn sie da ist, ja? Ich bin später
zu Hause erreichbar .«
»Mach ich. Wie
geht's dir denn überhaupt? Wie ich gehört hab, hast du deinen Frauen neulich
Morgen einen ganz schönen Schrecken eingejagt .«
»Mir selbst
auch. Aber jetzt geht's mir wieder gut. Tschüss, Caroline.« Er legte auf. Ihm
war zwar klar, dass es unhöflich war, aber das war ihm in diesem Moment egal.
Er ließ den
Blick wieder zu den Zeichnungen schweifen: zu der Frau und dem Kind im Auto;
zum Gesicht des kleinen Mädchens, das zu einer übertrieben gezeichneten Maske
des Entsetzens verzerrt war; zu dem verwesten Monster, das durch die
Windschutzscheibe krachte; zu dem demolierten Wagen, dessen Inneres nichts
verriet. Und dabei musste er an die
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