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Der Cartoonist

Der Cartoonist

Titel: Der Cartoonist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Costello
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Auseinandersetzung
unvermeidlich schien.
    In physischer
Hinsicht konnte der Alte ihm nichts anhaben. Seine hellseherische Fähigkeit war
zwar eine unheimliche Gabe, bot aber allenfalls einen schwachen Ausblick auf
die
    Zukunft, was
ein ungewöhnliches, aber nicht unbekanntes Phänomen darstellte. Es war eine
nicht kontrollierbare, nicht vorsätzliche Sache.
    Warum dann
diese blinde Angst? Warum hab ich dennoch das Gefühl, hier in größerer Gefahr
zu schweben, als wenn ich die Eiger-Norwand ohne Seil erklimmen würde?
    Scott
versuchte es erneut: »Ich möchte, dass Sie mit dem Zeichnen
aufhören und sich mit mir unterhalten«, sagte er so gelassen wie möglich. »Ich
möchte, dass Sie mit mir reden. Ich weiß, dass Sie es können, das weiß ich
wirklich. Warum hören Sie nicht mit dem Zeichnen auf und reden mit mir? Ich
will Ihnen nichts Böses, Sie können mir vertrauen .«
    Scott fuhr in
diesem sanften, vortastenden, eintönigen Singsang fort, während er im Zwielicht
das uralte Gesicht nach irgendeinem Zeichen des Begreifens absuchte - nach
einem Blinzeln der Augenlider, einem verräterischen Zucken des Mundwinkels oder
einer anderen, kaum wahrnehmbaren Veränderung, die zeigte, dass der Alte ihn
verstand.
    Oder aber
verriet, dass der Zeichner ihm ganz bewusst etwas vormachte. Diese
Möglichkeit versetzte Scott einen plötzlichen Schock. Seine Gedanken wanderten
zum Abend seines Geburtstages zurück, zum Esstisch bei ihm zu Hause. Damals
hatte er die Gesichter von Krista und Kath genauso forschend gemustert,
allerdings nicht nach Zeichen des Verstehens, sondern der bewussten Täuschung
gesucht.
    War der
Mann womöglich ein Simulant ? Es war eine
verlockende, wenn auch nicht sonderlich plausible Erklärung für sein Verhalten,
eine Möglichkeit, die er nicht allzu leichtfertig verwerfen durfte.
    »Es gibt
nichts, vor dem Sie Angst haben müssten«, sagte er leise, obwohl er bei diesem
seltsamen kleinen Mann keine Angst spüren konnte, nicht die kleinste Spur von
Angst. »Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Wir Arzte und Schwestern hier sind
alles Fachleute, die Ihnen helfen möchten. Aber dazu müssen Sie auch selbst
mitarbeiten, mit uns reden, uns an Sie heranlassen .«
    An diesem
Punkt hörte Scott auf und schob seinen Stuhl zum Heizkörper zurück. Blonde
Zwillingsmädchen, die vierzehn Jahre alt sein mochten, waren soeben in der Tür
aufgetaucht. Sie kicherten und halfen einem o-beinigen alten Herrn, der sich
auf eine Gehhilfe stützte, ins Zimmer. Eine von ihnen nannte ihn Großpapa. Als
die andere die Lampe über seinem Bettgestell anknipste, fiel das schwache,
gelbliche Licht bis zum Gesicht des Zeichners herüber.
    Im jetzt
helleren Zimmer sah Scott erneut zu dem Künstler, der immer noch zeichnete und
dabei sabberte. Wie hatte er auch nur für einen Augenblick annehmen können, er
sei ein Simulant? Wahrscheinlich hatte er Gespenster gesehen, während er allein
mit ihm im fast dunklen Zimmer gesessen hatte. Als er ihn jetzt betrachtete,
kam er zu dem Schluss, es müsse wohl leichter sein, einen von Kaths Goldfischen
zum Reden zu bringen.
    Als die
Zwillinge ihrem Großvater ins Bett halfen und Scott den Rücken zuwandten, griff
er, einer plötzlichen Eingebung folgend, nach dem unentwegt kratzenden
Bleistift. Er hoffte, den Künstler damit zu überrumpeln und vielleicht zum
Reden zu bringen. Doch der Alte hielt mit überraschender Kraft am Bleistift
fest, seine dürren Finger legten sich wie Stahlklammern um das Holz. Scott
wusste zwar selbst nicht, warum, aber anstatt lockerzulassen, zerrte er
daraufhin noch heftiger an dem Stift.
    Die sonst so
ziellos und leer blickenden Augen des Alten fixierten Scott mit jäher Wut.
Seine Lippen zogen sich zurück, während tief aus seiner Brust ein dumpfes
Grollen drang. Es klang wie das Knurren eines Raubtiers und bahnte sich seinen
Weg nach oben, bis es drohend aus der Kehle kam.
    Scott zog die
Finger so schnell zurück, als habe er glühende Kohle angefasst. Seine Kehle war
trocken, vergeblich versuchte er zu schlucken.
    Jetzt war an
dem Alten auch ein penetranter Geruch auszumachen, ein ätzender Gestank, der
weit stärker war als der hier übliche. Scott war es gewohnt, dass es auf der
Station für
    chronisch
Kranke stets schlimm nach Fäkalien und Ammoniak roch. Aber diesen Gestank
kannte Scott bislang nur von rolligen Katern, die miteinander kämpften - es war
ein wilder moschusartiger, urzeitlicher Geruch.
    Leicht hin und
her schwankend, rappelte Scott sich hoch.

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