Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Cellist von Sarajevo

Titel: Der Cellist von Sarajevo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Galloway
Vom Netzwerk:
mehr, wann sie eingeschlafen ist, und kommt sich vor, als hätte sie keine Stunde geruht. Aber ihre Augen sind offen, und sie weiß, dass der Lärm nicht von ihren Nachbarn kommt. Jemand hämmert an die Tür. Sie steigt aus dem Bett, zieht sich an und öffnet die Schublade des Nachttischs. Sie holt den Revolver ihres Vaters heraus, die Waffe, die er als Polizist benutzt hat, und steckt sie in ihre Jackentasche. Ihr Gewehr liegt auf dem Küchentisch, gereinigt und einsatzbereit, aber sie rührt es nicht an.
    Wer immer da klopft, ist hartnäckig, und sie hört, wie die Tür ihrer Nachbarn geöffnet wird. Einen Moment lang kehrt Stille ein, ohne dass ein Wort gesprochen wird, dann wird die Tür wieder leise geschlossen. Strijela überzeugt sich davon, dass ihre Waffe geladen ist, und öffnet die Tür.
    Drei Männer warten draußen. Einer von ihnen hat die Faust erhoben, bereit, ein weiteres Mal anzuklopfen, die beiden anderen stehen hinter ihm. Sie sind bewaffnet und wirken locker, aber sie weiß, dass sie es nicht sind. Alle haben Wanderstiefel an den Füßen. Derjenige, der geklopft hat, trägt einen grünen Kampfanzug und eine Uniformjacke, auf die das Emblem des Landes genäht ist. Die beiden anderen haben Straßenkleidung an, an der keinerlei Abzeichen prangen.
    Derjenige, der geklopft hat, schaut sie auf eine Art und Weise an, wie Männer in einem Nachtclub Frauen mustern. Er zögert kurz, bevor er das Wort ergreift, und wirft den beiden anderen einen kurzen Blick zu. »Sind Sie Strijela?«, fragt er mit einem Tonfall, der barsch klingen soll, aber beinahe komisch wirkt.
    »Kann sein. Was wollt ihr?« Sie hat die Hand in der Jackentasche, hat sich aber noch nicht entschieden, was sie tun wird. Sie könnte alle drei töten, noch bevor sie ihre Waffen in Anschlag bringen, aber das kommt ihr nicht richtig vor. Sie sehen nicht so aus, als ob sie eine unmittelbare Gefahr für sie darstellen. Sie wirken eher wie Sendboten. Schieß nicht auf den Boten, lautet eine alte Regel. Sie entschließt sich, vorerst nichts zu unternehmen.
    »Kommen Sie mit.«
    Strijela zögert, denkt über ihre Möglichkeiten nach. Wenn sie sich weigert, muss sie dann diese Männer töten? »Ich glaube nicht, dass ich das tun will«, sagt sie.
    Die beiden, die sich im Hintergrund halten, fassen ihre Gewehre fester, heben die Läufe leicht an und beantworten damit Strijelas Frage.
    »Das ist keine Bitte«, sagt der vordere. Er ist nervös, denkt sie. Offenbar haben diese Männer von ihr gehört. Möglicherweise sind sie sich nicht ganz sicher, ob die Geschichten über sie stimmen, aber sie haben genug gehört, um Angst zu haben. Einen Moment lang freut sie sich, dann wird sie wütend auf sich, weil sie sich an der Furcht anderer ergötzt. Sie wollte nie, dass andere Angst vor ihr haben.
    »Wohin soll’s gehen?«, fragt sie leise und ruhig. Sie möchte ihnen klar machen, dass sie sich nicht einschüchtern lässt.
    »Zu Oberst Karaman«, sagt er. »Nehmen Sie Ihr Gewehr mit.«
    Strijela wartet einen Moment, damit sie sich beruhigen, und überlegt, was sie tun soll. Sie kann ablehnen, aber dann muss sie die drei Männer töten und anschließend flüchten. Einfacher und klüger wäre es, wenn sie mitginge. Sie hat keine Ahnung, wer Oberst Karaman ist, hat nie von ihm gehört, und das macht sie nervös. Sie nickt, lässt sie stehen und geht in die Küche. Sie holt ihr Gewehr und kehrt zurück. Sie schließt sie Tür, worauf die drei Männer mit ihr losziehen, der im Kampfanzug neben ihr, die beiden anderen dahinter. Sie hat das Gefühl, dass sie sie wie eine Gefangene behandeln.
     
    Als Strijela aus dem blauen BMW steigt, fordert man sie auf zu warten, während einer der Männer in ein Café geht, das an einer schmalen Straße unmittelbar nördlich der Bibliothek liegt. Die beiden anderen bleiben neben dem Wagen stehen und rauchen, reden aber nicht mit ihr. Nach ein paar Minuten kehrt der andere Mann zurück und bedeutet ihr, dass sie ihm folgen soll.
    Die Beleuchtung in dem Café ist schummrig, die Luft abgestanden. Die Fenster wurden mit Sandsäcken verrammelt, und nur ein paar wenige Möbel stehen herum. An einem Tisch in der hinteren Ecke sitzt ein Mann in Uniform. Er ist Ende vierzig, hat ergrauende Haare und einen graumelierten Bart. Sein Gesicht ist von der Sonne gebräunt, die Augen haben einen undefinierbaren Braunton. Er wirkt grimmig, ein Mann, der ans Kämpfen gewöhnt ist. Strijela wird sofort bewusst, dass es gefährlich wäre, ihn zum

Weitere Kostenlose Bücher