Der Chaos-Pakt
Eine Motte kam hereingeflogen und flatterte um das rußige Glas der Laterne, nachdem der Unteroffizier draußen in der Dunkelheit verschwunden war.
»Sie haben keine Antworten«, sagte Huruc. »Ich auch nicht. Ich fürchte, noch viele Menschen werden sterben, bevor dies alles vorbei ist.« Er wandte sich an Ayrlyn. »Ihr seid eine Seherin. Ist es nicht so?«
»Es würden so oder so viele Menschen sterben«, gab Ayrlyn langsam zurück. »Wir können nur darauf Einfluss nehmen, welche es sind, die sterben müssen.«
Wieder einmal lief es Nylan kalt den Rücken herunter, als er ihre Worte hörte. War das Leben denn wirklich nichts weiter als der Versuch, die Namen und Daten des Todes zu verändern, weil sowieso jeder sterben musste, sodass es letzten Endes nur auf das Wo und Wann ankam?
»Ihr habt keinen Trost zu bieten, Engel.« Huruc stand auf. »Dennoch klingen Eure Worte wahr und die Wahrheit ist mir lieber als ein falscher Trost. Trügerische Sicherheit hat schon mehr als einen Bewaffneten vorzeitig getötet.« Er nickte und ging hinaus.
Nylan und Ayrlyn schwiegen eine Weile. Dann blies Nylan die Kerze aus und sie blieben im Dunkeln sitzen. »Niemand mag Seher und Wahrheiten«, murmelte er schließlich. »Ich bin nicht einmal sicher, ob wir Seher sind und die Wahrheit sagen oder ob wir uns einfach nur wie alle anderen bemühen, nicht zu viele Fehler zu machen.«
»Ist es denn richtig, was wir tun?«
»Ich hoffe es.« Wenigstens bekam er bei dieser Antwort nicht die Kopfschmerzen, die ihm zu zeigen schienen, dass er jemand anders oder sich selbst täuschte.
»Du hast dich verändert. Ich mich auch.«
»Jeder verändert sich«, meinte er ausweichend.
»Du sprichst jetzt öfter als früher das aus, was du für wahr hältst. Auf dem Dach der Welt hast du es meist für dich behalten.«
»Ryba hätte mich in Stücke geschnitten«, wandte er ein.
»Nein, das glaube ich nicht. Du riskierst es, dass Fornal oder Gethen oder sonst jemand ein Heer gegen dich ausschickt.«
»Du auch, sogar noch mehr als ich. Und du hast in anderer Hinsicht einen hohen Preis zu zahlen. Du spielst nicht mehr mit der Lutar, das beunruhigt mich.«
»Mich auch, aber das wird sich wieder ändern.«
»Bist du sicher?«
»Ich bin sicher. Ich weiß es und das macht mir manchmal Angst.«
Nylan schluckte.
»Es ist nicht mit Rybas Visionen vergleichbar, es ist eher ein sehr klares Gefühl«, erklärte sie.
»Das macht jetzt wieder mir Angst.« Er zwang sich zu einem Lachen.
»Ob Angst oder nicht«, gähnte sie, »ich bin müde.«
Nylan stand auf und reichte ihr die Hand, um sie in ihr Zimmer zu führen. Heiß und stickig war es, obwohl die Läden vor dem kleinen Fenster geöffnet waren.
Weryl lag, alle Viere von sich gestreckt, auf dem Rücken auf seinem kleinen Lager. Er lächelte leicht im Schlaf. Sylenia schnarchte leise, sie lag mit dem Rücken zur Tür.
»Sylenia macht sich Sorgen wegen Tregvo«, flüsterte Ayrlyn, indem sie sich näher zu Nylan beugte.
»Wen meinst du?«
»Das ist der Bewaffnete, der immer wieder Annäherungsversuche macht. Sie sagte mir, sie fürchtete schon, keiner von uns würde zurückkehren.«
Jetzt mussten sie sich also Sorgen um das Kindermädchen machen, das sie mitgenommen hatten, damit sie sich nicht um Weryl zu sorgen brauchten.
Bei der Dunkelheit, dass auch immer wieder neue Probleme auftauchen mussten. Aber so schien das Leben eben zu sein. Nylan holte tief Luft, zog sich das schweißnasse Hemd aus und versuchte, sich im stillen, warmen Zimmer zu entspannen.
Ayrlyn legte ihm die Arme um die Hüfte und hauchte ihm einen Kuss auf den Hals, ehe sie sich wieder von ihm löste. Er konnte spüren, dass auch ihr Hemd feucht war. Was hatten sie nur in diesem Schwitzkasten im Süden von Lornth verloren?
Er lächelte unwillkürlich.
»Du lächelst?«, flüsterte Ayrlyn.
»Ich dachte nur, dass wir vor einer Weile noch geglaubt haben, es wäre eine gute Idee, hierher zu kommen. Vielleicht wird eines Tages mal auf meinem Grabstein stehen: ›Er dachte, es wäre eine gute Idee.‹«
Ayrlyn küsste ihn noch einmal und der Kuss wog beinahe alles wieder auf. Nylan lächelte.
LXXXIV
D er kleine Spähtrupp aus Lornth hielt auf der Hügelkuppe an. Im Westen führte die Straße in einer Kurve den sanften Hügel hinunter, nicht zu scharf, aber doch eng genug, dass die cyadorischen Wagenlenker an dieser Stelle langsamer werden mussten. Die Kutscher der Wagen, die auf der Straße von Syadtar hierher
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