Der Chaos-Pakt
kann.«
»Oh.«
Nylan schauderte im Sattel und ließ sich von Sylenia führen. Sein Pferd folgte ihr gehorsam. Er wusste, dass Ayrlyn in noch schlechterer Verfassung war und kaum noch reiten konnte. Aber es war richtig gewesen, dass sie als Erste angegriffen hatte. Hatten sie denn eine andere Möglichkeit gehabt? Nein, nicht in dieser Situation. Nicht mit Sylenia und Weryl, die verletzlich und unbewaffnet waren. Nicht in einer Kultur, in der Außenseiter als wertlos galten.
Wieder und wieder ... immer wieder schien sich zu bestätigen, dass nur die rohe Gewalt zählte. Die Leute reagierten allein auf Gewalt. Nicht auf Gefühle, nicht auf Vernunft, nicht auf das Gleichgewicht ... allein auf die Gewalt.
... verdammt ... immer nur Gewalt ...
Er schluckte und hielt sich mühsam im Sattel und verließ sich einstweilen darauf, dass seine Stute Sylenia folgte.
CXIV
E ine Grille ... oder ein Grashüpfer ... oder etwas anderes ... zirpte in der Dunkelheit vor dem Wäldchen im Gras. Der leichte, an Reisera erinnernde Geruch schien sich in der abendlichen Windstille zu verstärken.
Nylan blickte durch die Dunkelheit kurz zu Sylenia und Weryl, die ruhig schliefen, dann zu Ayrlyn. »Bist du nicht müde?« Er schloss die Lider, weil er immer noch das Gefühl hatte, jemand würde ihm glühende Messer in die Augen stoßen.
»Schon, aber kann nicht schlafen. Mir tut der Kopf weh ...«
»Ich weiß.« Auch Nylan hatte Kopfschmerzen und hin und wieder verschwamm es ihm vor den Augen. Weiße Blitze oder Funken blendeten ihn. Auf dem Weg vom Fluss hierher war es so schlimm gewesen, dass er manchmal hatte blind reiten müssen und nur gehofft hatte, dass die Stute ihn nicht im Stich ließ und dass Sylenia einen halbwegs sicheren Platz für sie fand.
Es war ihm vorgekommen, als wären sie eine Ewigkeit geritten. Ein Regenschauer hatte, so seltsam es auch war, die schlimmsten Nachwirkungen des Chaos weggespült.
Er war nicht sicher, wo sie sich befanden, aber sie waren jedenfalls weiter im Süden und näher am Wald. Oder besser, er hoffte es, aber er war zu müde, um sich große Gedanken zu machen oder weiter zu reiten.
»Es gibt so viele Dinge, die ich einfach nicht verstehe«, gestand er.
»Das liegt daran, dass du kein Kommunikationsoffizier oder Soziologe bist«, erklärte sie. »Ich habe es zuerst auch nicht verstanden. Aber schau es dir mal in aller Ruhe an. Ganz rationalistisch, wenn du so willst.«
Er stöhnte über die Anspielung und rieb sich die Schläfen.
»Diese Kultur ist stark reglementiert und gut organisiert. Frauen genießen nur sehr wenig Ansehen, sie gelten höchstens als wertvoller Besitz. Es gibt hier eine Art Aristokratie mit weit reichenden Privilegien. Die ganze Stadt hat es praktisch herausgeschrien.«
»Was?« Nylan hatte immer noch Kopfschmerzen. Aber er hatte ja auch zwei Einheimische getötet.
»Die Fensterläden der Häuser sind trotz der Hitze verschlossen. Die Eingänge sind mit Büschen abgeschirmt oder in der Stadt sogar mit Gittern gesichert. Es gibt keine Hinweise darauf, was sich wo befindet, die Häuser sehen einander sehr ähnlich. Haben wir auch nur ein einziges Mädchen gesehen? Eine schwangere Frau ist uns begegnet, mehr nicht. Die einzigen Reiter, die wir sahen, waren Vertreter der Machthaber. Die Leute rennen weg, sobald ein Berittener kommt, noch bevor sie überhaupt erkennen, wer es ist. Was glaubst du, warum ich schnell angegriffen habe? Es ist ja nicht so, dass ich etwas Derartiges gern mache und dass ich besonders blutrünstig wäre«, erklärte sie. »Wir sind hier Fremde, wir sind beritten und wir haben Waffen. Das bedeutet, dass wir praktisch Freiwild sind und dass sie sofort angreifen wollten, als wir uns weigerten, sie zu begleiten. Die gute Nachricht ist allerdings, dass wir im Augenblick nicht verfolgt werden«, meinte Ayrlyn.
»Wir sind Fremde und haben drei Angehörige der einheimischen Polizei getötet und sie jagen uns nicht? Bist du sicher?«
»Ich möchte wetten, dass die drei Bewaffneten die gesamte örtliche Polizei dargestellt haben. Sie sind jetzt tot, aber das war außerhalb der Stadt. Zuerst einmal werden nur wenig Einheimische die Initiative ergreifen und sich vergewissern, was passiert ist. Und jene, die es tun, werden nicht unbedingt sofort alles erzählen, weil sie Angst haben, hineingezogen zu werden. Die Einheimischen werden eher darauf achten, in nichts verstrickt zu werden, und die meisten werden wegschauen. Und wer will schon in einem
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