Der Chaos-Pakt
werden weiterhin zu uns kommen.« Sie lächelte bitter. »Ich habe darüber nachgedacht. Die meisten glauben nicht, dass ich viel nachdenke, aber ich tue es ... sehr viel sogar. Die Marschallin ... und besonders Ihr ... Ihr habt es mich gelehrt.«
»Ich?« Nylan war völlig verwirrt und fragte sich, was er noch alles getan haben mochte, ohne es zu bemerken.
»Ich habe Euch beobachtet, Nylan. Ihr habt nicht viel darüber geredet, warum Ihr dieses oder jenes getan habt. Ihr habt es einfach gemacht. Ihr habt Euch angetrieben und ... und die Leute haben einfach genommen, was Ihr für sie gemacht habt. Ich habe mich gefragt, warum das so war. Und dann ...« Sie zuckte mit den Achseln und sah ihn mit klaren Augen an. »Ich musste Euch einfach sagen, dass ich für alles, was Ihr uns geschenkt habt, dankbar bin. Ich wollte Euch wissen lassen, dass ich nicht so bin wie so viele andere.« Sie zögerte einen Moment, schluckte schwer. »Westwind ist zu klein für Euch und Ihr seid kein Vollsybraner, deshalb könnt Ihr auch anderswo leben.«
»Ich freue mich nicht gerade auf die Hitze«, sagte er. Ihm saß ein Kloß im Hals und er fragte sich, ob seine Entscheidung, Westwind zu verlassen, wirklich so gut war, wie er anfangs noch geglaubt hatte.
»Die Heilerin geht mit Euch, nicht wahr? Einige Wächterinnen werden darunter leiden, die Kinder natürlich auch.« Sie blickte zum Bett, wo Kyalynn den kleinen Bären betrachtete, der auf ihren pummeligen Beinen lag.
»Istril, Llyselle und du, ihr habt die gleiche Begabung zum Heilen.« Er lächelte traurig. »Ihr werdet in einiger Zeit so gut sein wie wir, falls ihr es nicht schon seid.«
»Wir werden zurechtkommen, aber wir werden nie so gut sein wie Ihr. Aber ich wusste, dass es geschehen würde. Relyn sagte auch, dass es dazu kommen würde.«
»Relyn? Er ist doch schon seit der Schlacht nicht mehr hier.« Nicht, dass Nylan sich über den einarmigen Mann noch wunderte, zumal sich herausgestellt hatte, dass Blynnal von ihm schwanger war. Nylan hatte Relyn empfohlen, Westwind zu verlassen, bevor Ryba einen Weg fand, den ehemaligen Adligen aus Lornth zu beseitigen, weil er eine neue Religion gründen wollte.
Nylan schnaubte wütend. Die Vorstellung, dass er – ein ehemaliger Ingenieur auf einem Schiff der Engel – der Prophet eines neuen Glaubensbekenntnisses sein sollte, war einfach lächerlich. Noch absurder war Rybas Ansicht, Relyn könnte, wenn er einen solchen Glauben predigte, Westwind gefährden. Nicht ganz so absurd war ihre Absicht gewesen, Relyn im Durcheinander nach der großen Schlacht zu beseitigen – nur dass Relyn, von Nylan gewarnt, sich in der Nacht hatte davonstehlen können.
»Ryba hat erzählt, dass er bereits sein neues Evangelium zu predigen begonnen hat.« Siret sah sich um. »Ich habe gehört, wie sie mit Saryn darüber gesprochen hat. Tryssa – sie war eine der letzten neuen Rekrutinnen, die vor den Schneefällen zu uns gekommen sind – hat von einem schwarz gekleideten, einarmigen Propheten erzählt, der den Untergang der alten Lebensart und den Aufstieg der Ordnung predigt. Er hätte auch gepredigt, man müsse einen Tempel der Ordnung bauen.«
»Wie schön.« Nylan blickte die Treppe hinauf.
»Er sagte, früher oder später würdet Ihr Abschied nehmen müssen und die Heilerin würde mit Euch gehen.« Siret lächelte traurig. »Ihr müsst wissen, dass ich gut zuhören kann.«
»Ich weiß es.« Er schüttelte den Kopf. »Aber hier scheinen alle zu wissen, was ich tun will, bevor ich es selbst weiß.« Er überlegte und fuhr nach einer kleinen Pause fort: »Danke. Ich bin aber nicht stehen geblieben, damit du mich lobst.«
»Ich weiß. Ihr seid ein guter Mann.«
Er schlug die Augen nieder. So sehr er sich auch über das Kompliment freute, Nylan wusste, dass er keineswegs ein so guter Mensch war, wie sie annahm. Wenn er es wäre, dann wäre vieles anders verlaufen. »Wo ist Istril? Ich will mich auch von ihr verabschieden.«
»Sie ist vorhin mit Weryl nach draußen gegangen, sie wollte mit ihm ausreiten. Es gab so viele Dinge, die ihr Sorgen machen, dass ich schon dachte, sie wollte auch weggehen, aber sie sagte, sie würde zurückkommen.« Siret runzelte die Stirn. »Sie lügt nie. Aber sie sah traurig aus. Ich frage mich, ob sie davon wusste, dass Ihr gehen würdet.«
»Das kann ich nicht sagen.« Istril sah und wusste vieles, ohne es jemals zur Sprache zu bringen.
»Ihr müsst jetzt gehen. Aber Ihr sollt noch Kyalynn Lebewohl sagen.« Sie
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