Der Chaos-Pakt
jetzt jemand anders wichtig ist, was wird ihr geschehen? Wirst du sie vertreiben oder beseitigen?« Nylans Stimme blieb ruhig. »Schließlich darf doch nichts deinen Traum gefährden.«
»So ist es nicht. Ich habe getan, was getan werden musste. Glaubst du, es hat mir gefallen, Mran zu töten? Oder zuzusehen, wie zwei Drittel meiner Mannschaft getötet wurden? Ich muss ständig daran denken. Glaubst du, es gefällt mir, dich gehen zu sehen, nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben? Glaubst du, es gefällt mir, wenn ich den Rest meines Lebens die Grabhügel unten am Ende der Wiese ansehen muss? Es ist leicht, zu kritisieren und zu gehen, Nylan. Es ist viel schwerer, etwas aufzubauen und mit dem Schmerz zu leben.«
»Es ist auch wichtig, wie man etwas aufbaut«, antwortete der Ingenieur. »Ich habe dir und den Wächterinnen einen ehrlichen Turm gebaut, ein ehrliches Badehaus und eine ehrliche Schmiede. Ehrliche Ställe. Sogar den Beginn einer ehrlichen befestigten Straße zum Rest der Welt habe ich gebaut. Du hast auf Täuschungen gebaut. Du hast mich getäuscht. Du hast Istril getäuscht, Ayrlyn und Siret. Und am Ende, so lange Westwind auch stehen wird, wird diese Täuschung dein Werk zerstören.«
»Du wirst dich nie verändern, Nylan. Du kannst genauso verstohlen sein wie ich. Der Unterschied ist nur, dass ich es mir eingestehe, du dir aber nicht.« Ryba stand auf und wartete, dass Nylan ihr Dyliess abnahm. »Was ich aufgebaut habe, wird die Zeit überdauern. Von dir wird nur der Name bleiben, Legenden über einen sagenhaften, mächtigen Schmied, und auch dies nur, weil ich Ayrlyn ein Lied über dich schreiben ließ.«
»Du hast auch auf alles eine Antwort, nicht wahr?«
»Du doch auch«, antwortete sie. »Nimm Dyliess. Singe für sie und ich werde es ihr später sagen. Ja, das werde ich. Um ihretwillen, nicht deinetwegen.«
Nylan trat einen Schritt vor.
»Ah... ooooh...« Dyliess streckte die Arme zu ihrem Vater aus und schaute auf. Eine Decke war um ihre Hüften und Beine gewickelt. Nylan hob sie auf und wiegte sie an der Schulter, wiegte sie hin und her und hielt sie fest.
Ryba ging zur Tür. »Ich bin bald wieder da.«
Er hielt seine Tochter mit den silbernen Haaren in den Armen und ging zum Bett, das er selbst gebaut hatte. Dann ging er über die glatten Holzplanken auf dem Boden zurück zum Schaukelstuhl, wo er sich vorsichtig setzte und zu schaukeln begann.
»O liebe Kleine, mein liebes kleines Kind
Was können wir nur tun in diesem wilden Land
Wo der Himmel so grün und so kalt der Wind?
Wer nimmt dich morgen schützend an die Hand?
Dein Vater muss jetzt auf die Reise gehn
Und du bleibst in der Wiege ganz allein
Doch wenn die Sterne über dir am Himmel stehn
Dann weißt du, er wird immer bei dir sein.«
Tränen liefen dem Schmied die Wange hinunter und trotz seines ausgezeichneten Gesichtssinnes konnte er nichts mehr erkennen. Überhaupt nichts mehr.
Nach einer Weile stand er auf, legte die schlafende Dyliess in ihr Bettchen und kehrte in seine Kammer zurück, um seine Sachen zu holen.
Nach einem letzten Blick zu dem schlafenden Kind ging er die Treppe hinunter, beladen mit seinen Siebensachen, und gab wie üblich peinlich darauf Acht, nicht über die Klinge an seiner Hüfte zu stolpern. Das Schwert im Schultergeschirr war, sobald er auf einem Pferd saß, erheblich leichter zu ziehen und einzusetzen. Einige Gebräuche in Candar waren durchaus sinnvoll – vor allem jene, die mit Waffen zu tun hatten.
Als er zum dritten Stock hinunterging, schaute Siret kurz auf. Sie war gerade dabei, sich ein Arbeitshemd überzustreifen. Sie bemerkte sofort, wie viel Gepäck Nylan bei sich hatte, warf einen raschen Blick zu Kyalynn, die mit einem Stoffbären rang, den Hryessa ihr aus Lumpen genäht hatte, und eilte über die Holzdielen zum Treppenhaus.
Der Ingenieur blieb stehen.
»Nylan? Ihr geht fort, nicht wahr?« Die tiefen grünen Augen sahen ihn fragend an.
Er nickte.
»Ich habe es kommen sehen. Nichts, was Ihr tut, ist ihr gut genug.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich bin nicht wie Gerlich. Ich werde nicht zurückkommen, jedenfalls nicht auf diese Weise.«
»Nein, Ihr werdet nicht zurückkommen. Diese Welt braucht Euch.«
Er blinzelte. Damit hatte er nicht gerechnet.
»Ryba wird gegen die Welt kämpfen. Sie will die Männer, die hier herrschen, zu sich locken, um sie zu besiegen. Aber sie werden nicht kommen. Sie werden uns die Berge überlassen und die unglücklichsten Frauen
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