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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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einzig Neue war ein Foto des mutmaßlichen Täters. Auf einem Bild, wahrscheinlich ein vergrößertes Pass- oder Führerscheinfoto, sah man einen Mann mit weichem Gesicht, schmalem Mund, hoher Stirn und dünnem Haar. Es fiel ihr schwer, sich in ihm den Mann vorzustellen, der das barbarische Verbrechen von Hesjövallen begangen haben sollte. Ein Freikirchenpastor, dachte sie. Kaum ein Mann mit der Hölle im Kopf und in den Händen. Aber sie wusste, dass ihr Gefühl gegen ihre bessere Einsicht verstieß. In den Gerichtssälen hatte sie Gewalttäter kommen und gehen sehen, und keiner hatte wirklich ein Aussehen gehabt, das zu seiner Tat passte.
     
    Erst als sie die Zeitungen weggeworfen und den Teletext eingeschaltet hatte, wurde ihr Interesse geweckt. Dort war die Hauptnachricht, dass die Polizei die mutmaßliche Mordwaffe gefunden hatte. An einem nicht genannten Ort, aber den Angaben Lars-Erik Valfridssons entsprechend, war die Mordwaffe ausgegraben worden. Es war eine selbstangefertigte schlechte Kopie eines japanischen Samuraischwerts. Aber scharf genug war es. Gegenwärtig wurde die Waffe auf Fingerabdrücke und vor allem auf Blutspuren untersucht. Eine halbe Stunde später hörte sie die Nachrichten im Radio. Wieder war da Robertsson mit seiner ruhigen Stimme. Er klang, als wäre er erleichtert über den Fund.
     
    Nachdem er seine Darstellung beendet hatte, prasselten die Fragen der Journalisten auf ihn ein. Doch Robertsson verweigerte jeden weiteren Kommentar. Wenn es der Presse etwas Neues mitzuteilen gebe, werde er das tun.
     
    Birgitta Roslin schaltete das Radio aus und nahm ein Lexikon aus dem Bücherregal. Darin fand sie das Bild eines Samuraischwerts. Sie las, dass man die Klinge so scharf wie eine Rasierklinge schleifen konnte.
     
    Der Gedanke daran jagte ihr ein Frösteln durch den Körper. So war also dieser Mann in einer Nacht in Hesjövallen von Haus zu Haus gegangen und hatte neunzehn Menschen getötet. Vielleicht hatte das rote Band, das im Schnee gefunden worden war, an seinem Schwert gehangen?
     
    Der Gedanke ließ ihr keine Ruhe. In ihrer Handtasche hatte sie noch eine Karte des Chinarestaurants. Sie rief die Nummer an und erkannte die Stimme der Bedienung, mit der sie gesprochen hatte. Sie erklärte, wer sie war. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Bedienung verstand.
     
    »Haben Sie die Zeitungen gesehen? Das Bild des Mannes, der so viele Menschen ermordet hat?« 
    »Ja. Furchtbarer Mann.« 
    »Können Sie sich erinnern, ob er einmal bei Ihnen gegessen hat?« »Nie.« »Sind Sie sicher?« 
    »Nicht wenn ich hier war. Aber an anderen Tagen bedient
     
    meine Schwester oder mein Cousin. Sie wohnen in Söderhamn. Wir wechseln uns ab. Familienbetrieb.«
     
    »Tun Sie mir den Gefallen«, sagte Birgitta Roslin, »und bitten Sie sie, sich das Bild in der Zeitung anzusehen. Und wenn sie ihn erkennen, rufen Sie mich an.«
     
    Die Kellnerin schrieb die Telefonnummer auf.
     
    »Wie heißen Sie?« fragte Birgitta Roslin.
     
    »Li.«
     
    »Ich bin Birgitta Roslin. Vielen Dank für Ihre Hilfe.« »Sie sind nicht in der Stadt?
     
    »Ich wohne in Helsingborg.«
     
    »Helsingborg? Da haben wir ein Restaurant. Auch Familie. Shanghai heißt es. Genauso gutes Essen wie hier.« »Ich werde hingehen. Wenn Sie mir helfen.« Sie blieb am Telefon sitzen und wartete. Als es klingelte,
     
    war es ihr Sohn, der ein bisschen reden wollte. Sie bat ihn, sich später wieder zu melden. Es dauerte eine halbe Stunde, ehe Li zurückrief. »Vielleicht«, sagte Li. »Vielleicht?« 
    »Mein Cousin glaubt, dass er einmal im Restaurant war.« 
    »Wann?« 
    »Letztes Jahr.« 
    »Aber er ist nicht sicher?« 
    »Nein.« 
    »Können Sie mir seinen Namen sagen?« Birgitta Roslin schrieb den Namen und die Telefonnummer des Restaurants in Söderhamn auf und beendete das Gespräch.
     
    Nach kurzem Zögern rief sie im Polizeipräsidium von Hudiksvall an und fragte nach Vivi Sundberg. Sie rechnete damit, eine Nachricht hinterlassen zu müssen, doch zu ihrer Überraschung kam Vivi Sundberg ans Telefon. »Die Tagebücher«, sagte sie. »Sind sie immer noch interessant?« 
    »Sie sind schwer zu entziffern. Aber ich habe Zeit. Ich wollte zu Ihrem Ermittlungserfolg gratulieren. Wenn ich richtig verstehe, haben Sie sowohl ein Geständnis als auch eine denkbare Tatwaffe.«
     
    »Aber das ist doch kaum der Grund Ihres Anrufs?« 

    »Natürlich nicht. Ich wollte noch einmal auf mein Chinarestaurant zurückkommen.«
     
    Sie

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