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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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erzählte von dem chinesischen Cousin in Söderhamn und davon, dass Lars-Erik Valfridsson vielleicht das Restaurant in Hudiksvall besucht hatte. »Das könnte das rote Band erklären«, sagte sie zum Schluss. »Ein loses Ende, das nicht mehr lose zu sein braucht.«
     
    Vivi Sundbergs Interesse hielt sich in Grenzen. »Im Moment kümmert uns dieses Band nicht besonders. Das verstehen Sie sicher.«
     
    »Ich wollte es nur erzählen. Ich kann Ihnen den Namen und die Telefonnummer des Kellners sagen, der diesen Mann vielleicht gesehen hat.«
     
    Vivi Sundberg machte eine Notiz. »Danke, dass Sie sich gemeldet haben.«
     
    Als das Gespräch beendet war, rief Birgitta Roslin ihren Chef Hans Mattsson an. Sie musste warten, bis sie zu ihm durchgestellt wurde. Sie sagte ihm, sie rechne damit, gesundgeschrieben zu werden, wenn sie in ein paar Tagen ihren Arzt besuchte.
     
    »Wir ertrinken«, sagte der Gerichtspräsident. »Oder sollte ich vielleicht lieber sagen, wir werden erstickt? Die schwedischen Gerichte werden von den Mittelkürzungen regelrecht erdrosselt. Ich hätte nie gedacht, erleben zu müssen, dass der Rechtsstaat und die Demokratie in Geld berechnet werden. Ohne funktionierenden Rechtsstaat gibt es keine Demokratie mehr. Wir sind auf den Knien. Es knackt in allen Fugen, und die Grundlagen unserer Gesellschaft sind verbogen und verformt. Ich mache mir wirklich Sorgen.«
     
    »Ich kann mich kaum mit all dem befassen, wovon du sprichst. Aber ich verspreche dir, dass ich mich wieder um meine Verfahren kümmern werde.«
     
    »Du bist mehr als willkommen.«
     
    An diesem Abend aß sie allein, weil Staffan zwischen zwei Schichten in Hallsberg übernachtete. Sie blätterte weiter in den Tagebüchern. Nur bei den Aufzeichnungen, die das letzte Tagebuch abschlossen, las sie aufmerksam den fortlaufenden Text. Er war vom Juni 1892. JA war inzwischen in alter Mann. Er wohnte in einem kleinen Haus in San
     
    Diego und litt an Schmerzen in den Beinen und im Rücken. Von einem alten Indianer kaufte er nach langem Feilschen Salben und Kräuter, die ihm guttaten. Er schrieb von seiner großen Einsamkeit, vom Tod seiner Frau und von den Kindern, die weit fortgezogen waren, ein Sohn sogar in die kanadische Wildnis. Von der Eisenbahn schrieb er nichts mehr. Aber er blieb sich treu, wenn er Menschen beschrieb. Neger und Chinesen waren ihm noch immer verhasst. Er fürchtete, dass Schwarze oder Gelbe in ein Nachbarhaus einziehen könnten, das leerstand.
     
    Das Tagebuch endete mitten in einem Satz. Am 19. Juni 1892. Er schreibt, es habe in der Nacht geregnet. Seine Rückenschmerzen sind stärker als sonst. Er hatte einen Traum.
     
    Da endeten die Aufzeichnungen. Weder Birgitta Roslin noch irgendjemand sonst erfuhr, was er geträumt hatte. Sie dachte an das, was Karin Wiman am Vortag geschrieben hatte. Von dem Pfad, der sich durch ihren Kopf zog, einem Punkt entgegen, an dem er einmal enden würde. So war es auch an jenem Junitag 1892 gewesen, als JAs verächtliche Kommentare über Menschen anderer Hautfarbe ein abruptes Ende nahmen.
     
    Sie blätterte noch einmal zurück. Es fanden sich keine Anzeichen dafür, dass er seinen Tod ahnte, nichts, was auf das Kommende hindeutete.
     
    Mein Tagebuch, wenn ich eins schreiben würde, sähe ebenso aus. Ebenso unabgeschlossen. Wer schafft es eigentlich, seine Geschichte abzuschließen, einen Punkt zu setzen, bevor er stirbt?
     
    Sie legte die Tagebücher wieder in die Plastiktüte und nahm sich vor, sie am folgenden Tag zurückzuschicken. Was jetzt in Hudiksvall geschah, würde sie nicht anders verfolgen als alle anderen.
     
    Am Bücherregal griff sie nach dem Verzeichnis der schwedischen Gerichtspräsidenten. Beim Amtsgericht Hudiksvall hieß er Tage Porsen. Das wird der Prozess seines Lebens, dachte sie. Hoffentlich ist er ein Richter, der die Öffentlichkeit zu schätzen weiß.
     
    Birgitta wusste, dass viele ihrer Kollegen es nicht nur fürchteten, sondern direkt verabscheuten, sich Journalisten und Fernsehkameras zu stellen.
     
    Das galt zumindest für ihre Generation. Wie es jüngere Richter mit der Öffentlichkeit hielten, wusste sie nicht. Das Thermometer vor dem Küchenfenster zeigte, dass die Temperatur gefallen war. Sie setzte sich vor den Fernseher, um die Abendnachrichten zu sehen. Danach würde sie ins Bett gehen. Der Tag bei Karin Wiman war inhaltsreich, aber auch anstrengend gewesen.
     
    Die Nachrichten liefen schon seit einigen Minuten. Sie begriff sogleich,

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