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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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vergleich sie mit denen, die auf die Broschüre geschrieben waren, und sah, dass sie richtig gegangen war. Ein Arzt in weißem Kittel stand rauchend vor der Tür und sprach laut in ein Handy. Sie war so dicht bei ihm, dass sie seine nikotingelben Finger sehen konnte. Noch ein Stück Geschichte, dachte sie. Was trennt mich von der Welt, in der ich damals lebte? Wir rauchten ununterbrochen, überall, dachten kaum daran, dass es Menschen gab, denen all der Rauch nicht gut bekam. Aber wir hatten keine Handys. Wir wussten nicht immer, wo die anderen, die Freunde, die Eltern sich befanden. Mao rauchte, also taten wir das Gleiche. Es war ein ständiger Kampf, Telefonzellen zu finden, die funktionierten, deren Münzeinwurf nicht verstopft oder deren Kabel nicht herausgerissen waren. Ich erinnere mich noch an die Geschichten von den beneidenswerten Menschen, die als Mitglieder irgendwelcher Delegationen nach China reisten. China war ein Land ohne Kriminalität. Wenn jemand in einem Hotel in Peking seine Zahnbürste vergaß und dann nach Kanton fuhr, wurde die Zahnbürste nachgeschickt und ihm aufs Zimmer gebracht. Und alle Telefone funktionierten.
     
    Es war, als hätte sie damals mit der Nase an eine Glasscheibe gepresst gelebt. In einem lebenden Museum, in dem die Zukunft hinter der Scheibe, aber gleichzeitig vor ihren Augen geformt wurde.
     
    Sie ging wieder auf die Straße und lief um den großen Gebäudekomplex. Auf den Bürgersteigen saßen alte Männer und verschoben Steine auf Brettspielen. Früher hatte sie eins der gewöhnlichen chinesischen Spiele beherrscht. Ob Karin es noch konnte? Sie würde versuchen, ein Spielbrett mit Steinen zu kaufen und mit nach Hause zu nehmen. Als sie zum Ausgangspunkt zurückkam, schlug sie den Weg zum Hotel wieder ein. Aber sie war noch nicht weit gegangen, als sie innehielt. Ihr war etwas aufgefallen, doch sie hatte nicht registriert, was es war. Sie drehte sich langsam um. Dort das Krankenhaus, der düstere Park, die Straße, andere Häuser. Das Gefühl war jetzt stärker, sie bildete es sich nicht ein. Sie hatte etwas übersehen. Sie ging wieder zurück. Der Arzt mit der Zigarette und dem Handy war verschwunden. Jetzt standen dort ein paar Krankenschwestern, die gierig Rauch in die Lungen sogen.
     
    Als sie an die Ecke des großen Parks kam, erkannte sie, was sie zwar gesehen, aber nicht bewusst registriert hatte. Auf der anderen Straßenseite lag ein Hochhaus, das neu gebaut und sehr exklusiv zu sein schien. Sie holte die Broschüre mit den chinesischen Zeichen hervor. Das Gebäude, das in der Broschüre abgebildet war, war eben dieses Haus, das sie jetzt vor sich hatte. Es bestand kein Zweifel. Auf dem Dach des Hauses war eine Terrasse, die keiner anderen glich. Sie ragte wie der Bug eines Schiffs hoch über dem Boden in die Luft. Sie betrachtete das Gebäude, dessen Glasfassaden dunkel getönt waren. Vor dem hohen Eingangsportal standen bewaffnete Wachen. Vermutlich war es ein Bürogebäude. Sie stellte sich in den Schutz eines Baums, um dem scharfen Wind nicht so ausgeliefert zu sein. Aus der hohen Tür, die aus Kupfer zu sein schien, kamen ein paar Männer und verschwanden rasch in wartenden Wagen. Ein verlockender Gedanke durchzuckte sie. Sie fühlte in der Tasche nach, ob sie das Bild von Wang Minhao bei sich hatte. Wenn er irgendetwas mit dem Gebäude zu tun hatte, kannte ihn vielleicht eine der Wachen. Aber was sollte sie sagen, wenn sie nickten und sagten, dass er da sei? Sie hatte immer noch das Gefühl, dass er etwas mit den Morden von Hesjövallen zu tun hatte, was immer auch die Polizei von Lars-Erik Valfridsson glauben mochte. Sie konnte sich nicht entscheiden. Bevor sie das Bild zeigte, musste sie ein Motiv haben, warum sie nach ihm suchte. Es durfte natürlich nichts mit den Ereignissen in Hesjövallen zu tun haben. Wenn jemand sie fragte, musste sie eine glaubwürdige Antwort geben können.
     
    Ein junger Mann blieb neben ihr stehen. Er sagte etwas, was sie zunächst nicht verstand. Dann wurde ihr klar, dass er versuchte, sie auf Englisch anzusprechen. »Haben Sie sich verirrt? Kann ich Ihnen helfen?«
     
    »Ich betrachte nur dieses schöne Gebäude«, sagte sie. »Wissen Sie, wer der Besitzer ist?«
     
    Er schüttelte verwundert den Kopf. »Ich studiere Veterinärmedizin«, sagte er. »Über große Häuser weiß ich nichts. Kann ich Ihnen helfen? Ich versuche, besser Englisch zu sprechen.«
     
    »Sie sprechen gut Englisch.« 
    »Ich spreche sehr schlecht.

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