Der Chinese
zurück und fragte dann, in welchem Hotel sie wohnte, versicherte sich, dass sie zurückfand, und verabschiedete sich mit einer höflichen Verbeugung.
Auf dem Rückweg zum Hotel überkam sie wieder das schwindelerregende Gefühl, jederzeit vom Menschengewimmel verschlungen werden zu können, ohne dass jemand sie finden würde. Sie war gezwungen, sich an einer Hauswand abzustützen.
Ganz in der Nähe lag ein Teehaus. Sie ging hinein, bestellte Tee und ein paar Stück Gebäck und versuchte, in tiefen, langen Zügen zu atmen. Da war sie wieder, diese panische Angst, die sie in den letzten Jahren empfunden hatte. Der Schwindel, das Gefühl, plötzlich zu fallen. Die lange Reise nach Peking hatte sie nicht von der Angst befreit, die sie mit sich herumtrug.
Sie dachte wieder an Wang. Bis hierhin konnte ich seiner Spur folgen, aber nicht weiter. Sie schlug ihren unsichtbaren Richterhammer auf den Teetisch und erklärte stumm für sich selbst, dass das Ganze vorbei war. Ein junger Mann mit schlechter englischer Aussprache hatte ihr geholfen, soweit es ging.
Sie bezahlte, wunderte sich über den hohen Preis und begab sich aufs Neue hinaus in den kalten Wind.
Am Abend gingen sie ins Theater in dem großen Qianmen Hotel. Obwohl es Kopfhörer gab, hatte Karin Wiman eine Dolmetscherin besorgt. Während der vier Stunden langen Vorstellung saß Birgitta Roslin zur Seite geneigt und lauschte mit einem Ohr der teilweise unbegreiflichen Zusammenfassung des Geschehens auf der Bühne durch die junge Dolmetscherin. Karin und sie waren enttäuscht, denn sie verstanden, dass die Vorstellung nur eine Zusammenstellung von Szenen aus klassischen Pekingopern war, wenn auch auf höchstem Niveau, aber ganz auf Touristen zugeschnitten. Als die Vorstellung vorbei war und sie endlich den ausgekühlten Saal verlassen konnten, hatten sie beide einen steifen Nacken. Vor dem Theater warteten sie auf den Wagen, den der Kongress für Karin bereitgestellt hatte. Birgitta meinte plötzlich, den jungen Huo zu sehen, der sie vorhin am Krankenhaus auf Englisch angesprochen hatte.
Es ging so schnell, dass sie sein Gesicht nicht festzuhalten vermochte, bevor er wieder verschwunden war. Als sie zum Hotel kamen, warf sie einen Blick hinter sich. Aber es war niemand da, den sie kannte.
Es schauderte sie. Ihre Angst tauchte aus dem Nichts auf. Sie hatte Huo vor dem Theater gesehen. Sie war sich sicher. Karin fragte, ob sie noch Lust auf einen Drink hätte, bevor sie ins Bett gingen. Birgitta sagte ja.
Eine Stunde später war Karin eingeschlafen. Birgitta stand am Fenster und blickte über das glitzernde Neonlicht hinaus. Ihre Angst hatte sie nicht verlassen. Wie hatte Huo wissen können, dass sie da war? Warum war er ihr gefolgt? Als sie schließlich neben ihrer schlafenden Freundin ins Bett kroch, bereute sie, Huo das Bild von Wang Min gezeigt zu haben. Sie fror. Sie lag noch lange wach. Die Winternacht in Peking umschloss sie mit ihrer Kälte.
Am folgenden Tag fiel leichter Schnee. Karin Wiman war schon um sechs Uhr aufgestanden, um den Vortrag, den sie halten sollte, noch einmal durchzugehen. Birgitta Roslin wurde wach und sah sie im Stuhl am Fenster sitzen, eine Stehlampe brannte, denn draußen war es noch dunkel. Ein vages Neidgefühl überkam sie. Karin hatte ein Leben gewählt, das Reisen und Begegnungen mit fremden Kulturen beinhaltete. Birgittas Leben spielte sich in Gerichtssälen ab, in denen ein ständiger Zweikampf zwischen Wahrheit und Lüge, Willkür und Gerechtigkeit geführt wurde, dessen Ausgang äußerst ungewiss war und zuweilen hoffnungslos schien.
Karin merkte, dass sie mit offenen Augen dalag und sie ansah. »Es schneit«, sagte sie. »Leicht und dünn. In Peking fällt nie schwerer Schnee. Er ist leicht, aber auch scharf, wie die Sandkörner aus den Wüsten.«
»Du bist fleißig. Schon so früh.«
»Ich bin nervös. Es hören so viele zu, die nur nach Fehlern suchen in dem, was ich sage.« Birgitta richtete sich im Bett auf und bewegte vorsichtig den Kopf. »Mein Nacken ist immer noch steif.«
»Für die Pekingoper ist körperliches Durchhaltevermögen erforderlich.«
»Ich sehe gern noch eine an. Aber ohne Dolmetscher.« Kurz nach sieben verließ Karin das Zimmer. Sie verabredeten sich für den Abend. Birgitta schlief noch eine Stunde, und als sie ihr Frühstück beendete, war es neun Uhr geworden. Ihre Unruhe vom Vortag war geschwunden. Das Gesicht des jungen Mannes, das sie
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