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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Aber wenn ich übe, kann es besser werden.«
     
    Ein entlegenes Zitat aus Maos kleinem Roten fuhr ihr durch den Kopf, ohne dass sie es zu fassen bekam. Übung, Fertigkeit, Opfer fürs Volk. Sei es, dass man Schweine mästete oder sich in einer fremden Sprache übte.
     
    »Sie reden ein wenig zu schnell«, sagte sie. »Es ist schwer, alle Wörter zu verstehen. Sprechen Sie langsamer.« 
    »Ist es so besser?«
     
    »So ist es vielleicht etwas zu langsam.«
     
    Er versuchte es wieder. Sie konnte hören, dass er mechanisch gelernt hatte, ohne die Bedeutung der Worte wirklich zu verstehen.
     
    »So?«
     
    »Jetzt verstehe ich besser, was Sie sagen.«
     
    »Kann ich Ihnen helfen, den richtigen Weg zu finden?« 
    »Ich habe mich nicht verirrt. Ich stehe hier und betrachte dieses schöne Haus.«
     
    »Es ist sehr schön.«
     
    Sie zeigte auf die vorspringende Terrasse. »Ich frage mich, wer dort wohnen mag.«
     
    »Jemand, der sehr reich ist.«
     
    Plötzlich entschied sie sich. »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«
     
    Sie holte das Foto von Wang Minhao hervor. »Können Sie zu den Wachen hinübergehen und fragen, ob sie diesen Mann kennen? Wenn sie fragen, warum, können Sie einfach sagen, dass jemand Sie gebeten hat, ihm eine Nachricht zu überbringen.«
     
    »Was für eine Nachricht?«
     
    »Sagen Sie, dass Sie die Nachricht holen werden, und kommen Sie hierher zurück. Ich warte vor dem Krankenhaus.« Er stellte die Frage, auf die sie wartete. »Warum fragen Sie nicht selbst?«
     
    »Ich bin zu schüchtern. Ich finde, dass eine westliche Frau nicht hingehen und nach einem chinesischen Mann fragen sollte.«
     
    »Kennen Sie ihn?«
     
    »Ja.«
     
    Birgitta Roslin versuchte, so vieldeutig wie möglich auszusehen, gleichzeitig begann sie, ihren Versuch zu bereuen. Aber er nahm das Foto und machte sich zum Gehen bereit. »Noch etwas«, sagte sie. »Fragen Sie, wer dort oben wohnt. In der obersten Etage. Es sieht wie eine Wohnung mit einer großen Terrasse aus.«
     
    »Ich heiße Huo«, sagte er. »Ich werde fragen.«
     
    »Ich heiße Birgitta. Tun Sie so, als wären Sie neugierig.« 
    »Woher kommen Sie? Aus den USA?«
     
    »Schweden. Rui Dian heißt es auf Chinesisch, glaube ich.« 
    »Ich weiß nicht, wo das liegt.«
     
    »Dann ist es fast unmöglich zu erklären.«
     
    Als er sich anschickte, die Straße zu überqueren, wandte auch sie sich um und eilte zurück zur Vorderseite des Krankenhauses.
     
    Die Krankenschwestern waren jetzt verschwunden. Ein alter Mann an Krücken kam langsam aus der offenen Tür. Sie hatte plötzlich das Gefühl, sich einer Gefahr auszusetzen, beruhigte sich aber damit, dass die Straßen voller Menschen waren. Ein Mann, der in einem Dorf in Schweden eine Menge Menschen getötet hatte, konnte entkommen. Aber kaum jemand, der einen westlichen Touristen tötete. Mitten am Tag. Das konnte China sich nicht leisten.
     
    Der Mann mit den Krücken fiel plötzlich um. Keiner der jungen Polizisten, die die Tür bewachten, rührte sich. Sie zögerte, half aber dann dem Mann auf. Aus seinem Mund kam eine lange Reihe von Wörtern, die sie nicht verstand, auch nicht, ob er dankbar war oder ärgerlich. Er roch stark nach Kräutern oder Alkohol.
     
    Der Mann ging weiter durch den Garten zur Straße. Auch er hat irgendwo ein Zuhause, dachte sie. Eine Familie, Freunde. Zu seiner Zeit hat er mit Mao dieses riesige Land verändert und dafür gesorgt, dass jedermann Schuhe an den Füßen hatte. Kann ein Mensch eigentlich eine größere Leistung erbringen? Als dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht an den Füßen frieren müssen? Oder nackt sind und hungern? Huo kam zurück. Er bewegte sich ruhig und sah sich nicht um. Birgitta Roslin ging ihm entgegen. Er schüttelte den Kopf. »Keiner hat diesen Mann gesehen.«
     
    »Keiner wusste, wer er war?«
     
    »Keiner.«
     
    »Wem haben Sie das Bild gezeigt?«
     
    »Den Wachen. Es kam auch ein anderer Mann dazu. Aus dem Haus. Er trug eine Sonnenbrille. Ist das die richtige Aussprache? ›Sonnenbrille‹?«
     
    »Sehr gut. Und wer wohnt im obersten Stock?«
     
    »Darauf haben sie nicht geantwortet.«
     
    »Aber es wohnt jemand da?«
     
    »Ich glaube nicht. Die Frage mochten sie nicht. Sie sagten, ich solle gehen.« 
    »Was haben Sie da gemacht?« 
    Er sah sie verwundert an. »Ich bin gegangen.« 
    Sie nahm eine Zehndollarnote aus ihrer Handtasche. Zuerst wollte er das Geld nicht nehmen. Er gab ihr das Foto von Wang Minhao

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