Der Chinese
öffnet in einer Stunde.«
»Warum zwingen Sie mich, dies hier mitzumachen?«
»Wir wollen keinen Unschuldigen bestrafen, aber auch keinen Täter laufen lassen.«
Birgitta Roslin starrte sie an und spürte, dass sie keine Wahl hatte. Sie hatten sich entschieden, sie hier festzuhalten. Das Beste, was ich tun kann, ist, die Situation zu akzeptieren, dachte sie. Aber niemand kann mich zwingen, einen Täter zu identifizieren, den ich nie gesehen habe. »Ich muss mit meiner Freundin sprechen«, sagte sie. »Was geschieht mit meinem Gepäck?«
»Das Zimmer bleibt für Sie reserviert«, antwortete Hong. »Ich vermute, dass es bereits geschehen ist. Wann ist entschieden worden, dass ich gezwungenermaßen hierbleiben muss? Gestern? Vorgestern? Heute Nacht?«
Birgitta Roslin bekam keine Antwort. Chan Bing zündete eine neue Zigarette an und sagte ein paar Worte zu Hong. »Was hat er gesagt?« fragte Birgitta Roslin.
»Dass wir uns beeilen sollen. Chan Bing ist ein vielbeschäftigter Mann.«
»Wer ist er?«
Hong erklärte es ihr, während sie den Korridor entlanggingen.
»Chan Bing ist ein sehr erfahrener Ermittler. Er ist zuständig für Vorfälle, die Menschen wie Sie betreffen, Gäste in unserem Land.«
»Er ist mir unsympathisch.«
»Warum?«
Birgitta Roslin blieb stehen. »Ich verlange, dass Sie bei mir sind. Andernfalls verlasse ich das Hotel nicht, bevor die Botschaft geöffnet ist und ich dort mit jemand gesprochen habe.«
»Ich werde dabei sein.«
Sie gingen zum Frühstücksraum weiter. Karin Wiman wollte gerade den Tisch verlassen, als sie kamen. Birgitta Roslin erklärte, was geschehen war.
Karin betrachtete sie immer verwunderter. »Warum hast du davon nichts erzählt? Dann hätten wir ja damit rechnen müssen, dass dies passieren würde und du vielleicht bleiben musst.«
»Es ist, wie ich schon gesagt habe. Ich wollte dich nicht beunruhigen. Und ich wollte mich selbst auch nicht beunruhigen. Ich dachte, es wäre vorbei. Die Tasche habe ich zurückbekommen. Aber ich muss bis morgen hierbleiben.«
»Ist das wirklich nötig?«
»Der Polizeibeamte, mit dem ich gerade gesprochen habe, schien nicht die Art von Person zu sein, die einen einmal gefassten Beschluss ändert.«
»Willst du, dass ich auch bleibe?«
»Flieg du. Ich komme morgen nach. Ich rufe zu Hause an und sage Staffan, was passiert ist.« Karin schwankte noch. Birgitta brachte sie zum Ausgang. »Offenbar funktionie ren die Gesetze hierzulande so, dass man nicht abreisen kann, bevor man nicht getan hat, was sie wollen.« »Aber du sagst doch, du hättest nicht gesehen, wer dich überfallen hat?«
»Dabei bleibe ich auch. Geh jetzt! Wenn ich wieder zu Hause bin, treffen wir uns und schauen uns die Fotos von der Mauer an.«
Birgitta blickte Karin nach, die zum Aufzug ging. Weil sie selbst ihren Mantel mit in den Frühstücksraum genommen hatte, war sie fertig zum Gehen.
Sie saß mit Hong und Chan Bing im selben Wagen. Motorräder mit heulenden Sirenen bahnten in dem dichten Verkehr den Weg. Die Fahrt führte am Tiananmen vorbei und weiter über eine der zentralen Straßen, bis sie in eine von Polizisten bewachte Garageneinfahrt einbogen. Mit dem Aufzug fuhren sie in den vierzehnten Stock und gingen einen Korridor entlang, auf dem uniformierte Männer sie mit prüfenden Blicken betrachteten. Jetzt ging Chan Bing neben ihr, nicht Hong. In diesem Haus ist nicht sie die Wichtigste, dachte Birgitta Roslin. Hier bestimmt Chan.
Sie traten ins Vorzimmer eines großen Büroraums, Polizisten sprangen auf und nahmen Haltung an. Hinter ihnen wurde die Tür geschlossen, sie vermutete, dass sie sich in Chans Zimmer befanden. Ein Porträt des Präsidenten des Landes hing an der Wand hinter seinem Schreibtisch. Sie sah, dass Chan Bing ein moderner Computer und mehrere Mobiltelefone zur Verfügung standen. Er wies auf einen Stuhl beim Schreibtisch. Birgitta Roslin setzte sich.
Hong war im Vorraum geblieben.
»Lao San«, sagte Chan Bing. »So lautet der Name des Mannes, den Sie gleich treffen werden und unter neun anderen Männern herausfinden sollen.«
»Wie oft muss ich noch wiederholen, dass ich die Männer, die mich überfallen haben, nicht gesehen habe?«
»Dann können Sie auch nicht wissen, ob es ein oder zwei Männer waren, oder vielleicht noch mehr.«
»Es fühlte sich nach mehr als einem an. Es waren zu viele Arme um mich herum.«
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