Der Chinese
anderen Stelle äußerte sich ein Staatsanwalt namens Robertsson. Die Ermittlung werde auf breiter Front und objektiv geführt. Die Polizei in Hudiksvall habe von den zentralen Behörden Unterstützung angefordert und erhalten. Robertsson machte einen siegessicheren Eindruck. »Wir werden die Person fassen, die das getan hat. Wir lassen nicht locker.«
Der nächste große Artikel handelte von der Angst, die sich in den Wäldern von Hälsingland breitmachte. Es gab zahlreiche Dörfer mit wenigen Einwohnern. Es war die Rede von Menschen, die sich bewaffneten, von Hunden, Alarmanlagen und verbarrikadierten Türen.
Birgitta Roslin legte die Zeitung zur Seite. Das Haus war leer, still. Ihre unerwartete Freiheit war aus dem Nichts gekommen. Sie ging in den Keller und holte einen der Weinkataloge. Am Computer bestellte sie dann eine Kiste Barolo Arione. Eigentlich kostete sie zu viel. Aber etwas wollte sie sich gönnen. Danach nahm sie sich vor, das Haus zu putzen, was sonst fast immer zu kurz kam. Aber als sie den Staubsauger hervorholte, überlegte sie es sich anders. Sie setzte sich an den Küchentisch und dachte darüber nach, was sie tun wollte. Sie war krankgeschrieben, ohne wirklich krank zu sein. Der Arzt hatte ihr drei Sorten Tabletten verschrieben, die ihren Blutdruck senken und ihre Blutwerte verbessern sollten. Sie konnte nicht umhin, sich einzugestehen, dass der Arzt sie deutlicher gesehen hatte, als sie es selbst zu tun wagte. Sie war wirklich nicht weit von einem Burnout entfernt. Ihr schlechter Schlaf und die panische Angst, die sie manchmal überfiel und die vielleicht einmal auftreten konnte, wenn sie auf dem Richterstuhl saß, bereiteten ihr größere Probleme, als sie sich bisher eingestanden hatte.
Birgitta Roslin betrachtete die Zeitung auf dem Tisch und dachte wieder an ihre Mutter und an ihre Jugend. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie zog das Telefon heran, rief das Polizeipräsidium an und ließ sich mit Kriminalkommissar Hugo Malmberg verbinden. Sie kannten sich seit vielen Jahren. Einmal hatte er versucht, Staffan und ihr das Bridge-Spielen beizubringen, hatte sie aber nicht begeistern können. Birgitta Roslin hörte seine sanfte Stimme im Hörer. Wenn man sich vorstellt, dass Polizisten barsch sind, dann entspricht Hugo wirklich nicht den Erwartungen. Er hört sich eher wie ein freundlicher Rentner an, der auf einer Bank sitzt und Vögel füttert.
Sie fragte, wie es ihm gehe und ob er etwas Zeit für sie habe. »Um welchen Fall geht es denn?«
»Es geht um keinen Fall. Zumindest keinen, der uns betrifft. Hast du Zeit?«
»Ein Polizist, der seinen Beruf ernst nimmt und sagt, er habe Zeit, der lügt. Aber wann willst du kommen?« »Ich gehe von zu Hause aus zu Fuß. Sagen wir, in einer Stunde?«
»Ich erwarte dich.«
Als Birgitta Roslin in Hugo Malmbergs Zimmer mit dem sorgfältig aufgeräumten Schreibtisch trat, sprach er am Telefon. Er machte ihr ein Zeichen, sich zu setzen. Sie hörte, dass sein Gespräch sich um einen Fall von Körperverletzung vom Vortag drehte. Vielleicht landet er irgendwann bei mir, dachte sie. Wenn ich mein Eisenpräparat geschluckt, meinen Blutdruck gesenkt habe und wieder arbeiten kann. Das Telefongespräch endete. Hugo Malmberg lächelte sie freundlich an. »Möchtest du Kaffee?«
»Lieber nicht.«
»Was willst du damit sagen?«
»Der Kaffee bei euch im Präsidium soll mindestens so schlecht sein wie bei uns.«
Er stand auf. »Wir gehen ins Sitzungszimmer«, sagte er. »Hier klingelt ununterbrochen das Telefon. Ein Gefühl, das ich mit jedem anständigen schwedischen Polizeibeamten teile: dass ich der Einzige bin, der wirklich arbeitet.« Sie setzten sich an einen ovalen Tisch, auf dem Pappbecher und Wasserflaschen verstreut waren.
Malmberg schüttelte missbilligend den Kopf. »Die Leute räumen nicht auf, wenn sie den Raum verlassen. Man setzt sich zu einer Besprechung zusammen, und hinterher lässt man alles stehen und liegen. Was wolltest du? Hast du es dir noch einmal überlegt mit dem Bridge?«
Birgitta Roslin erzählte ihm von ihrer Entdeckung, dass es vielleicht eine vage Verbindung von ihr zu dem Massenmord gab. »Ich bin neugierig«, schloss sie. »Aus dem, was in den Zeitungen steht oder was in den Nachrichten gezeigt wird, kann man ja nicht mehr entnehmen, als dass es viele Tote sind und dass die Polizei keine Spur hat.«
»Ich gebe zu, dass ich froh bin, dort oben jetzt nicht Dienst zu
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