Der Chinese
Mann mit maskiertem Gesicht vor ihm. In der Hand hielt er eine Axt oder einen Hammer. Ihre Blicke begegneten sich.
»Verschont unser Leben«, flehte Elgstrand.
Der Mann zog die Maske vom Gesicht. Trotz der Dunkelheit sah Elgstrand sofort, dass San vor ihm stand. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, als er die Axt hob und sie Elgstrand in den Kopf schlug. Er stieß Elgstrand über Bord und sah seinen Körper mit der Strömung davontreiben. Einer seiner Männer machte Anstalten, Lodin die Kehle durchzuschneiden, aber San hob abwehrend die Hand. »Lass ihn leben. Ich will, dass jemand übrig bleibt, der berichten kann.«
San nahm die Tasche mit dem Geld und stieg in eines der anderen Boote hinüber. Auch die Ruderer, die mit Elgstrand und Lodin gekommen waren, stiegen um. Bald war nur noch der bewusstlose Lodin im Boot.
Der Fluss strömte ruhig weiter. Von den Banditen gab es keine Spur mehr.
Am Tag darauf wurde das Boot mit dem immer noch bewusstlosen Lodin gefunden. Der britische Konsul in Fuzhou nahm sich seiner an und ließ ihn in seiner Residenz wohnen, bis er wieder zu Kräften kam. Als Lodin über den schlimmsten Schock hinweg war, fragte ihn der Konsul, ob er einen von den Banditen erkannt habe. Lodin verneinte. Es war alles so schnell gegangen, die Männer waren maskiert, er hatte keine Ahnung, was mit Elgstrand passiert war.
Der Konsul wunderte sich lange, warum Lodins Leben verschont worden war. Chinesische Flusspiraten ließen selten jemanden leben, wenn sie zuschlugen. Aber dieses Mal hatten sie eine rätselhafte Ausnahme gemacht.
Der Konsul hatte sofort Kontakt mit den Behörden in der Stadt aufgenommen und gegen das Geschehene protestiert. Der Mandarin beschloss einzugreifen. Es gelang ihm, die Spur der Räuber bis in ein Dorf nordwestlich des Flusses zu verfolgen. Da die Banditen verschwunden waren, ließ der Mandarin statt ihrer die Angehörigen bestrafen. Sie wurden allesamt ohne Prozess enthauptet, das ganze Dorf wurde niedergebrannt.
Die Ereignisse hatten dramatische Konsequenzen für die weitere Missionsarbeit. Lodin verfiel in eine schwere Depression und wagte nicht, das britische Konsulat zu verlassen. Es dauerte lange, bis er wieder so weit hergestellt war, dass er nach Schweden zurückkehren konnte. Die Verantwortlichen in Schweden fassten den schweren Entschluss, zunächst keine Missionare mehr zu entsenden. Alle wussten, dass Bruder Elgstrand das Martyrium erlitten hatte, mit dem bei ihrer Tätigkeit gerechnet werden musste. Wäre Lodin wieder arbeitsfähig geworden, hätte sich alles anders entwickelt. Aber ein Mann, der nur noch weinte und sich kaum aus dem Haus traute, war kein Baustein, auf den man die weitere Arbeit gründen konnte.
Die Missionsstation wurde geschlossen. Den neunzehn bekehrten Chinesen wurde empfohlen, sich an die deutsche oder amerikanische Mission zu wenden, die ebenfalls am Min-Fluss arbeiteten.
Elgstrands Berichte über die Missionsarbeit, die niemanden mehr interessierten, wanderten in die Archive.
Einige Jahre nachdem Lodin nach Schweden zurückgekehrt war, kam ein gutgekleideter Chinese mit seinen Dienern nach Kanton. Es war San. Er kehrte in die Stadt zurück, nachdem er verborgen in Wuhan gelebt hatte.
Unterwegs hatte San sich in Fuzhou aufgehalten. Während seine Diener in einem Gasthaus warteten, hatte er sich an den Platz am Fluss begeben, wo sein Bruder, Qi und Liu begraben waren. Er hatte Weihrauch entzündet und lange auf dem schönen Hügel gesessen. Er hatte leise mit den Toten gesprochen und ihnen von dem Leben erzählt, das er jetzt führte. Er hatte keine Antwort bekommen und war doch sicher, gehört worden zu sein.
In Kanton mietete San ein kleines Haus am Rande der Stadt, weit entfernt von den ausländischen Besitzungen und von den Stadtteilen, in denen die armen Chinesen wohnten. Er lebte ein einfaches und zurückgezogenes Leben. Fragte jemand einen seiner Diener, wer er sei, erhielt er die Antwort, dass er von Zinsen lebe und seine Zeit Studien widme. San grüßte immer höflich, vermied es aber, mehr als nötig mit anderen Menschen zu verkehren.
In seinem Haus brannten die Lichter immer bis spät in die Nacht. San schrieb weiter seine Erlebnisse auf, beginnend bei dem Tag, an dem seine Eltern sich das Leben genommen hatten. Er ließ nichts aus. Er brauchte nicht mehr zu arbeiten, denn das Geld, das er in Elgstrands Tasche gefunden hatte, war mehr als ausreichend für das
Weitere Kostenlose Bücher