Der Chirurg von Campodios
drei seiner Arme ab und schlugen jeden wohl an die hundertmal auf die Ruderbank, da, so Hewitts Worte, auf diese Weise das Fleisch genießbar würde. Er hatte Recht, wie sich später in der Suppe zeigte. Der Zustand des Schiffs steht nicht zum Besten. Wir machen Wasser, noch nicht Besorgnis erregend, aber doch so viel, dass wir regelmäßig den Bootsboden leer schöpfen müssen. Auch das Segel wird langsam mürbe. Wann immer möglich, reffen wir es, um es zu schonen. Etliche Male am Tag fragen wir uns, wo wir sind und wie lange diese Prüfung noch dauern wird. Doch darauf weiß Gott allein die Antwort.
Ich werde meine Eintragungen in Zukunft kürzer halten, denn das Tintenfass leert sich schneller, als ich dachte.
Es war an einem der nächsten Abende, als Ambrosius und Phyllis mittschiffs saßen und die Sonne beobachteten, die in diesen Breiten so rasch wie ein Stein im Meer versank. Nach einer Weile des Schweigens meinte Phyllis: »Sach mal ehrlich, Vater, du weißt nich, was Qualle auf Latein heißt, nich?«
Ambrosius, noch ganz in den Anblick des Sonnenuntergangs versunken, schreckte auf. Dann runzelte er die Stirn. »So, hm, du glaubst also wirklich, ich wüsste es nicht?«
»So isses.«
Die Gesichtszüge des Mönchs glätteten sich wieder, und ein Lächeln entstand um seine Mundwinkel. »Du hast mich durchschaut. Ich weiß es wirklich nicht. Der Mensch ist nicht allwissend; allwissend ist nur Gott der Allmächtige.«
»’s dacht ich mir.«
»Du glaubst doch an Gott?«
»’s tu ich, ich denk mir, ’s is besser, wennde glaubst wie wennde nich glaubst.«
»Der Glaube ist im Leben eines Menschen der Anfang, das Ende und der Mittelpunkt zugleich. Unser Leben ist nichts anderes als ein Weg zu Gott, ein Weg, der mal kürzer und mal länger sein kann, an dessen Ende aber immer das Einssein mit Seiner Herrlichkeit steht.« In Ambrosius brach der Missionar durch. »Ich will dir erzählen, wie es mir erging.«
»Ja, tu’s nur.« Sie drängte sich näher an ihn.
»Äh … ja.« Er überlegte, ob die Nähe dieses erblühten Mädchenkörpers mit dem von ihm geleisteten Keuschheitsgelübde im Einklang stand, sagte sich dann aber, dass Phyllis wohl nur etwas kühl sei. »Du weißt vielleicht, dass ich in einer Stadt namens Erfurt aufwuchs, als Sohn eines recht wohlhabenden Kaufmanns. Nun, meine Jugend sah nicht viel anders aus als die Jugend all derer, die keine Not leiden. Ich hatte immer satt zu essen und musste mich nicht darum sorgen, was der morgige Tag bringen würde. Kurz, mein Leben war sehr geborgen. Ich wuchs im Schoße meiner Familie und eines strengen Glaubens auf. Jeden Sonntag gingen Vater, Mutter und wir Kinder in die schöne dreitürmige Severikirche. Ich fand das immer grässlich langweilig. Zu jenem Zeitpunkt, musst du wissen, war ich nicht besonders gottverbunden, und wer mir damals gesagt hätte, ich würde dereinst ins Kloster gehen, dem hätte ich ins Gesicht gelacht. Jahrelang ging das so mit mir, auch später noch, als ich mit sechzehn Jahren zu einem befreundeten Kaufmann nach Lübeck geschickt wurde, um dort eine Lehre anzutreten …«
»Lübeck, wo is ’n das?«
»Lübeck?« Ambrosius fühlte sich aus dem Erzählfluss gerissen. »Ach so, Lübeck ist eine alte Hansestadt, die an der Ostsee liegt. Ihr Engländer nennt die Ostsee, glaube ich, Baltische See.«
»Ja, ’s kann sein.« Phyllis kannte sich auf der Karte Europas nicht sonderlich aus. »Mach weiter.« Sie kuschelte sich an ihn und nahm seine Hand.
»Oh, hast du aber kalte Hände! Warte, ich will sie dir wärmen.« Eifrig begann er sie aneinander zu reiben. Nach einer Weile fragte er: »Besser so?«
»Viel besser. Bist der nettste Priester, den ich kenn.«
»Hmja.« Hastig zog Ambrosius seine Hände zurück und schätzte sich glücklich, dass die Dunkelheit schon angebrochen war, denn er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. »Mach weiter.« Sie kuschelte sich wieder an ihn.
»Ja, wo war ich denn? Ach ja: in Lübeck. Also auch in meiner Lübecker Zeit hatte ich noch keine besondere Nähe zu Gott. Ich war ein ganz normaler junger Mann, der sogar viele, äh …« Abrupt brach er ab. Um ein Haar hätte er erzählt, dass er eine Reihe von jungen Mädchen gekannt hatte, doch das verbot sich natürlich von selbst.
»Ja? Warum redste nich weiter?«
Er spürte, wie sie ihn ansah. Was sollte er tun? Die Wahrheit sagen, trotz der Peinlickeit, die sich damit verband? Er rang mit sich und kam zu dem Entschluss, dass es
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