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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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über das außerhalb der Hütte laufende Wasserrad einzeln betrieben werden.
    Haff prüfte die Glut in der Esse. Er nahm einen Schlackenhaken und stocherte darin herum. »Ein gutes Schmiedefeuer darf niemals ausgehen«, erklärte er. »So wie ein Mensch im Alter weise wird, so wird auch ein Feuer mit den Jahren immer wertvoller. Gute Arbeit gelingt nur in einem guten Feuer.« Er tat ein paar Scheite abgelagertes, hartes Tropenholz in die Glut und betätigte einen Handblasebalg. Fast augenblicklich wurde die Glut heller, und die Scheite fingen Feuer. »Nichts ist beim Schmieden so wichtig wie die richtige Hitze. Wenn sie nicht stimmt, nützen der beste Werkstoff und das beste Werkzeug nichts.«
    Die Freunde nickten und schauten sich um. Vor der Esse befand sich der große Löschtrog, gefüllt mit Wasser, der zum Abschrecken des glühenden Stahls diente. Darüber hing eine mächtige hölzerne Haube, die sich nach oben verjüngte und als quadratischer Abzug durch das Dach nach draußen führte. An der Esse selbst hingen griffbereit zahllose Zangen in jeder Größe und Länge. Die rauchgeschwärzten Wände waren gespickt mit weiterem Werkzeug, wie Greifzirkeln, Metallsägen, eisernen Winkeln, Abschrotern, Feilen und Dornen. Auf einem stark gezimmerten Tisch neben dem Amboss lagen unterschiedlichste Hämmer bereit, vom schweren Vorschlaghammer bis hin zum kleinen Handhammer.
    In einer Ecke ruhte eine vier Fuß hohe Glocke, und daneben, auf einer Bank, waren eine Reihe Degen und Schwerter abgelegt. »Hast du die gefertigt?«, fragte der kleine Gelehrte.
    »Ja, die meisten«, antwortete der Alte. »Es sind Stücke, die man mir zur Reparatur gebracht hat.« Er nahm einen stark abgenutzten Degen zur Hand. »Seht, wie schartig die Schneide ist. Ich werde sie völlig neu ausschmieden, härten, schleifen und polieren müssen.«
    Vitus fragte: »Woran siehst du, ob eine Klinge von dir dabei ist?«
    Haff runzelte die Stirn. »Ein guter Schmied erkennt seine Arbeit unter Tausenden. Aber es gibt noch etwas anderes, das darauf hinweist. Es ist die spezielle Zeichnung, die jeder Schmied seiner Klinge mitgibt. Sieh her.« Er deutete auf eine Stelle, die sich dicht unterhalb der Parierstange befand. Dort stand in großen, eingeschlagenen Buchstaben zu lesen:
    HAFFISSIS ME FECIT ANNO 1569
    »Die Inschrift ist Latein«, erklärte Haff, »sie bedeutet übersetzt: Haffissis hat mich gemacht, im Jahre 1569.«
    Der kleine Gelehrte meinte: »Haffissis ist ein ungewöhnlicher Name, jedenfalls für einen Engländer, ich nehme an, es ist dein Künstlername?«
    »So ist es. Ich nenne mich nach jenem Haffissis, der ein griechischer Gott war.«
    »Haffissis war ein griechischer Gott?«, schaltete Vitus sich staunend ein.
    »So ist es«, sagte Haff abermals. »Wenn du es genau wissen willst: Er war der Gott des Feuers und der Schmiedekunst.«
    »Oho!«, platzte Vitus heraus. Der Gott, den der Alte meinte, hieß nicht Haffissis, sondern Hephästos. Er musste ihn irgendwo verfremdet aufgeschnappt und sich zu Eigen gemacht haben.
    »Ist irgendetwas?«, fragte Haff.
    »Oh nein, es ist nichts, äh … Ich musste nur an einen Gott denken, der ähnlich heißt.« Es lag eine gewisse Tragik in dem Gedanken, dass Haff alles tat, um perfekte Klingen herzustellen, und sie am Ende mit einer Verfälschung zeichnete.
    »Dann ist es gut.« Ganz überzeugt schien der Alte noch nicht zu sein.
    Der Magister lenkte ihn ab, indem er fragte: »Und die Glocke dort? Was hat es mit ihr auf sich? Ich denke, du bist Klingenschmied?«
    »Blankwaffenschmied heißt es«, verbesserte Haff.
    »Entschuldige, Blankwaffenschmied. Bist du denn auch Glockenschmied?«
    »Glockenschmiede gibt es nicht, nur Glockengießer. Aber zu deiner Frage. Ich erhalte nicht nur Aufträge, Blankwaffen zu fertigen, manchmal bringen sie auch Gebrauchsgegenstände und ganz selten so etwas Ungewöhnliches wie eine Glocke.«
    »›Sie‹? Wer sind ›sie‹?«
    »Nun«, Haff räusperte sich umständlich, »darüber möchte ich Stillschweigen bewahren. Jedenfalls so lange, bis wir einander voll vertrauen können. Sie haben die Glocke vor einiger Zeit mit einem Ochsengespann hergebracht. Es war eine mühsame Plackerei. Die Glocke stammt von einem gestrandeten Schiff. Vermutlich war sie für eines der Gotteshäuser in Nombre de Dios oder Puerto Bello bestimmt.«
    »Ist sie denn kaputt?«, fragte Vitus
    »Ja, sie hat einen daumendicken Riss in der Außenhaut. Sie baten mich, ihn zu flicken. Ich schätze sie,

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