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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Einzelstück, mit keinem anderen auf dieser Welt zu vergleichen.«
    »Wie entsteht denn so ein Muster?«, fragte Vitus.
    Haff hielt ihm den vierkantigen Stab vor die Nase. »Indem ich diesen Stab erhitze und in sich verdrehe. Wir Schmiede nennen das ›tordieren‹. Je nachdem, wie oft man dreht, wird das Muster später beim Ausschmieden gröber oder feiner.«
    Vitus nickte. »Ich verstehe. Wenn ich an unseren Schmied, Bruder Tobias, auf Campodios denke, so war der ein biederer Handwerker gegen dich: Er machte seine Arbeit und lobte den Herrn, aber derartig Wertvolles wie du, Haff, hätte Tobias niemals herstellen können. Wo hast du diese Kunstfertigkeit erworben?«
    Haff schlug verlegen den Stab in seine Handfläche. »Nun, ich habe euch ja schon erzählt, dass ich Engländer bin. Ich wuchs in Sheffield auf, wo man die Kunst des Schmiedens von alters her besonders gut versteht. Als ich mein Gesellenstück gemacht hatte, zog es mich hinaus in die Welt. Ich fuhr zur See, gelangte später nach Andalusien, wo ich lernte, den berühmten orientalischen Schweißdamast herzustellen. Danach fuhr ich wieder zur See, blieb dann irgendwann in der kubanischen Stadt Habana hängen, wo ich auf einer Schiffswerft Anstellung fand. Aber die Arbeit gefiel mir nicht, weshalb ich wieder fortging. Ich war zu jenem Zeitpunkt schon über vierzig Jahre alt und wollte mir von niemandem mehr in meine Arbeit hineinreden lassen.«
    Haff machte eine Pause. »Tja, und da beschloss ich, mit meiner …« Er brach ab. »Jedenfalls hat es mich dann hierher verschlagen, wo ich das Glück habe, regelmäßig hochwertige Klingen herstellen zu können, die sie für mich verkaufen.«
    Dem Magister lag schon wieder die Frage: »Und wer sind ›sie‹?« auf der Zunge, aber er beherrschte sich. Stattdessen fragte er: »Und wenn du die Klingen fertig geschmiedet hast, schleifst und polierst du sie?«
    »Oh, nein! Vorher werden sie noch gehärtet. Wobei das Härten wiederum eine Kunst für sich ist.«
    Der Zwerg verbeugte sich demonstrativ, wobei seine roten Haarbüschel im Schein des Feuers aufleuchteten. »Wui, hast aber mächtig zu trafacken, bis so ’n Blankmichel fertich is, Haff, Respekt un gramersi fürs Vorbibeln!«
    »Danke, Enano. Bleibt mir nur noch zu sagen, dass die geschliffene und polierte Klinge zu guter Letzt noch mit einer wässrigen Auflösung von Eisenvitriol bestrichen wird, um das Muster ›hervorzulocken‹, wie wir Schmiede sagen. So, und nach all dieser Theorie zur Praxis: Ich zeige euch jetzt ein paar meiner jüngst fertig gestellten Exemplare. Wartet …«
    Er verschwand in den Tiefen seiner Werkstatt und stand wenige Augenblicke später wieder vor ihnen, im Arm acht wundervolle Klingen. »Es sind drei Schwerter und fünf Degen, seht her.«
    Andächtig betrachteten sie im Schein der Flammen die Kostbarkeiten, studierten die feinen Muster, fuhren mit dem Daumen über die Schneiden, umfassten mit den Fäusten die Griffe, schwangen die Klingen ein ums andere Mal kräftig durch, ergötzten sich dabei am Rauschen der Luft und konnten sich nicht satt sehen an diesen Meisterwerken der Schwertschmiedekunst. Schließlich sagte Vitus fast ehrfürchtig: »Wer eine solche Klinge sein Eigen nennen möchte, muss entweder steinreich sein oder sie selber herstellen können.«
    »Oder er lässt sie sich schenken«, lächelte Haff.
     
    Eine Zeit angespannter Arbeit folgte. Haff musste bei der Herstellung der Instrumente ein paar Mal experimentieren, denn es waren Stücke, die insgesamt viel feiner geartet waren als alles, was er bisher geschmiedet hatte. Dann endlich waren sie fertig. Zwar nicht so makellos glänzend wie eine Meisterklinge, doch darauf kam es Vitus auch nicht an. Die Funktion war für ihn entscheidend, und die war perfekt.
    Vitus hatte, unter Haffs kundiger Anleitung, das Skalpell selbst angeschliffen und seine Schärfe an ein paar zähen, alten Lederresten ausprobiert. Die kleine geballte Klinge arbeitete tadellos. Sie fraß sich durch das Material wie ein Messer durch Butter.
    Auch das Einschlagen von Buchstaben in den fertigen Stahl hatte er geübt und bei dieser Gelegenheit die Instrumente mit seinem Namen und dem Herstellungsjahr versehen. Als er fertig war, trugen Skalpell, Pinzette und Spatel folgende Inschrift:
    VITUS V.  CAMPODIOS A. D. 1578
    Er überlegte lange, dann entschloss er sich, der Buchstabenfolge ein weiteres Wort hinzuzufügen. Es lautete:
    AZOTH
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Haff.
    Vitus

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