Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
und begrüßte sie freudig. Haff sah, dass sie im hohen Gras saßen und ihn neugierig musterten.
    »Ich bin Haff«, sagte er. Und fügte hinzu: »Komm her, Tom, alter Junge, lass den Zwerg, äh … den kleinen Burschen in Ruhe.«
    Tom, der sonst ein sehr folgsamer Hund war, tat, als hörte er nicht.
    Plötzlich fistelte der Zwerg: »Wui, Haff, der Beller fühlt sich moll bei mir. Nix für ungut, un gramersi fürs Arauskätschen aus dem Teich. Enano heiß ich mit Namen.«
    »Und mich nennt alle Welt Magister«, sprach der kleine Mann mit der hohen Stirn. »Erlaube, dass ich dir die anderen vorstelle. Das ist Hewitt, ein sehr tüchtiger Matrose, und das Phoebe, ohne die wir wohl alle am Schwarzen Erbrechen gestorben wären.«
    »Ihr hattet das Schwarze Erbrechen an Bord?« Haff bemühte sich, sein Erschrecken zu verbergen. Das Schwarze Erbrechen oder Gelbfieber war in Küstenregionen, besonders aber an sumpfigen Flussufern, eine ständige Gefahr. »Seid ihr sicher, dass alle es auskuriert haben?«
    »Will meinen eignen Kopf essen, wenn’s nich so is.« Phoebe setzte sich etwas aufrechter hin und mühte sich vergebens, ihre von Sonne und Seewasser verfilzten Haare zu ordnen. »Un Hewitt hat’s sowieso nich gehabt, der hat’s früher gehabt, un ich un Phyllis auch, nich, Phyllis?«
    Als keine Antwort kam, biss sie sich auf die Lippen und kämpfte gegen die Tränen an. Phyllis war ihre einzige und beste Freundin gewesen. »Na ja«, sie schniefte, »Fraggles un Bride un der arme Ó Moghráin sin dran kaputtgegangen, ja, der arme Ó Moghráin auch, aber sonst isses ausgestanden.«
    Haff sagte voller Mitleid: »Ihr müsst Schreckliches erlebt haben, das Fieber und dazu den Orkan.«
    »Un die Piraten un der Schiffbruch un der Riesenkrake.« Jetzt heulte Phoebe richtig.
    »Ihr könnt mir das ja nachher beim Essen erzählen. Reden tut gut, ich weiß es noch von mir, damals, als ich …« Haff brach ab. »Ich habe ein paar Scheite trockenes Holz mitgebracht und gehe noch Kokosbast suchen. Nichts ist besser als Kokosbast, wenn man ein Feuer machen will. Ihr werdet sehen.«
    Wenig später hatte er ein prasselndes Feuer entfacht und einen Bratspieß darüber angebracht. Die Schiffbrüchigen drängten sich der Wärme entgegen, denn auch in der Karibik waren die Abende am Meer kühl.
    Haff meinte: »Hier ist der Braten, von dem ich sprach. Er ist vom Schwein, sehr lecker. Wer es schon verträgt, dem rate ich, davon zu essen. Ich selbst werde mir etwas anderes braten.« Er entnahm seinem Fellsack einige länglich-runde Fleischstücke und schob sie über den Spieß. »Euch erst mal einen guten Appetit.«
    »Danke, Haff.« Sie nahmen von dem Braten und bissen vorsichtig hinein, und es war ihnen, als hätten sie nie in ihrem Leben etwas Köstlicheres gegessen. Sie aßen vorsichtig und mit Bedacht und mit geschlossenen Augen. Zerkauten genüsslich jede Faser zwischen den Zähnen, schluckten langsam, genossen den Geschmack, nahmen einen neuen Bissen. Fleisch, frisches, köstliches Fleisch! Wie lange hatten sie darauf verzichten müssen!
    »Ich glaube, Schweinebraten habe ich zuletzt in England gegessen«, sagte Vitus schmausend. »Großer Gott, ist das lange her! Dabei fällt mir ein, weißt du, welches Datum wir gestern hatten, Haff?«
    »Warte mal.« Der Alte schlug die Stirn in Falten, vergaß darüber aber nicht, den Spieß weiterzudrehen.
    »Entschuldige, du weißt es wahrscheinlich nicht, hier spielt Zeit sicher kaum eine Rolle.«
    »Oh doch, Vitus. Für mich schon. Und jetzt weiß ich es auch wieder. Wir hatten gestern den 9. März. Um genau zu sein, Sonntag, den 9. März anno 1578.«
    »Den 9. März? Allmächtiger, das war ja mein Geburtstag!«, entfuhr es Vitus.
    Der Alte freute sich. »Dann herzlichen Glückwunsch! Man möchte meinen, es war dein zweiter Geburtstag. Gott hat dir ein zweites Mal das Leben geschenkt.«
    Vitus lachte. »Und du hast ihm dabei geholfen. Es ist wahrhaftig ein Wunder, dass wir überlebt haben.« Er rechnete kurz. »Seit dem Piratenüberfall auf die
Gallant
am 29. Januar sind mehr als fünf Wochen vergangen.«
    »Wenn du willst, erzähle mir eure Geschichte.« Haff blickte Phoebe an. »Vorausgesetzt, es wird nicht zu viel für dich?«
    Phoebe blickte zurück und schüttelte den Kopf, während sie in ein weiteres Stück Fleisch biss und dazu kühle Kokosmilch trank. »Bist ’n echter Kavalier, Haff, bei den Knochen meiner Mutter, das biste, aber ’s is ’ne mordslange Geschichte, ’ne

Weitere Kostenlose Bücher