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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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mordslange Geschichte isses, nich … äh …« Sie verstummte.
    »Tom und ich sind geduldige Zuhörer.«
    »Also gut«, entschied Vitus. »Ich werde berichten, was mit uns geschah.«
    Und er erzählte über die Zeit ihrer Leiden, die, wenn man es genau nahm, schon an Bord der
Gallant
mit dem Geizhals Stout begonnen hatte und über Wochen und Monate kein Ende nehmen wollte. Er erzählte ausführlich und wurde immer dann, wenn er etwas vergaß, von dem Magister oder dem Zwerg darauf hingewiesen. Auch Hewitt fiel ab und zu noch etwas ein, und er steuerte es bei.
    Was er hörte, verschlug Haff ein ums andere Mal die Sprache, und Vitus und seinen Freunden erging es selbst kaum anders, obwohl sie die grauenvollen Ereignisse doch am eigenen Leibe erlebt hatten.
    »Es sind viele Menschen ums Leben gekommen an Bord eurer
Albatross
«, seufzte Haff, als Vitus geendet hatte. »Gute wie auch schlechte. Die Wege des Herrn sind unerfindlich.«
    »Und wir Menschen müssen sie gehen.« Vitus bekreuzigte sich und teilte das letzte Stück des Bratens unter die Freunde auf. »Wir waren neun Männer und zwei Frauen, als wir mit der
Albatross
lossegelten, und am Ende sind nur fünf von uns übrig geblieben.«
    Enano fistelte: »Un der Korporal. Oder nich?«
    »Wen meinst du?« Haff blickte verständnislos.
    »Na, ’s Federvieh, den Flätterling Jack mein ich. Der is auch noch über. Wo is er eigentlich? Pickt er noch?«
    Haff antwortete, und sein Blick streifte dabei Phoebe: »Jack ist im Stall bei mir zu Hause. Da hat er’s gut, denn ich habe viele Hennen.«
    »Jack is ’n tapfrer Vogel, ’n tapfrer Vogel isser, un er hat’s verdient«, stellte Phoebe fest. »Als Hahn isser bestimmt ’n Kavalier, genau wie du, Haff.«
    »Oh!« Der Alte versuchte, seiner Verlegenheit Herr zu werden. »Das hast du hübsch gesagt. Aber warte, du hast ja gar kein Fleisch mehr. Darf ich dir …«, er unterbrach sich, »und euch natürlich auch, also, darf ich dir noch etwas von meinem Spießbraten anbieten? Er müsste jetzt durch sein.«
    Er schnitt mit einem Messer mundgerechte Stücke ab, und alle kosteten.
    »Hm!« Der kleine Gelehrte verdrehte die Augen. »Welch lukullischer Genuss! Das mundet ja fast noch besser als der Schweinebraten! Was ist es denn für Fleisch?«
    »Rate mal.«
    »Tja, wenn du mich so fragst, würde ich sagen, es schmeckt nach Hühnchen.« Der kleine Gelehrte drohte scherzhaft mit dem Finger. »Du hast unserem Jack wohl doch den Garaus gemacht, was, Haff?«
    »Wassis? Is was mit Jack?« Phoebe hatte für einen Augenblick nicht zugehört. Jetzt blickte sie misstrauisch zu dem Alten hinüber.
    »Aber nein! Jack geht es gut, Tom ist mein Zeuge. Hier handelt es sich nicht um Hühnchenfleisch. Nicht wahr, Tom, alter Junge?«
    Tom, der zu Haffs Füßen lag, wedelte mit dem Schwanz.
    Phoebe schluckte den letzten Bissen hinunter. »Na, denn is gut. Un was isses nu für Fleisch?«
    »Schlange.«
     
    Drei Tage später, nach einem Marsch, der ihre noch schwachen Kräfte nahezu völlig erschöpft hatte, endete der schmale Waldpfad plötzlich vor einer hohen Palisadenwand. »Der Zaun hält mir die wilden Tiere vom Leib«, erklärte Haff und öffnete ein schmales Tor. Sie traten hindurch und erblickten eine liebliche Lichtung, in deren Mitte Haffs Hütte stand. Das Haus, denn diesen Ausdruck verdiente die Hütte viel eher, stand etwas erhöht und war aus festen Holzstämmen erbaut, fensterlos, aber mit schmalen, senkrechten Schlitzen, die an Schießscharten erinnerten. Die Tür schützte ein schwerer, eiserner Riegel.
    Vom Haus selbst ging eine Reihe weiterer Gebäude ab, größere und kleinere, allesamt in der gleichen sorgfältigen Art gezimmert.
    »Kommt näher.« Haff machte eine einladende Geste, ging zur Tür und holte einen Schlüssel hervor, mit dem er ein großes Schloss öffnete, was wiederum das Zurückschieben des Riegels ermöglichte. »Tretet ein. Hier schlafe ich.«
    Der Einrichtung nach zu urteilen, war Haff ein bescheidener Mensch, denn in dem Raum befand sich nicht viel mehr als eine einfache Lagerstatt, die allerdings einen sehr sauberen Eindruck machte. Über dem Lager hingen zwei gekreuzte Degen, und am Fußende schlummerten drei Katzen auf einem zusammengefalteten Fell. Die Tiere hatten sich durch die Eintretenden kaum stören lassen, sondern nur kurz aufgeschaut und die Glieder gestreckt. Auch die Anwesenheit von Tom schien ihnen herzlich egal zu sein.
    »Das sind Catty, Lizzy und Momo«, stellte Haff vor.

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