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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nicht unter Kontrolle haben würden – zum Beispiel bei einem chirurgischen Eingriff. Man durfte gespannt sein, wie dieser Vitus von Campodios reagieren würde. Banester und Clowes beugten sich neugierig vor.
    »Keineswegs, Sir.« Die grauen Augen des Examinanden blitzten, während sein Mund lächelte. »Wie ich bereits sagte, ist mir das Praktizieren lieber als das Theoretisieren. Wobei ich der Meinung bin, dass ohne Theorie keine praktische Arbeit möglich ist – und umgekehrt. Beides ist gleich wichtig einzuschätzen. Wenn also der Medicus seinen Prosektor ob dessen Arbeit geringer achtet, ist er in meinen Augen selber gering zu achten. Oder, um es mit dem großen Doctorus Paracelsus zu sagen: ›Wo er nit ein Chirurgus darzu ist, so steht er do wie ein Ölgöz, der nichts ist als ein gemalter Aff.‹«
    »Hört, hört!«, entfuhr es Banester. Der Prüfling hatte nicht nur den Pfeil abgewehrt, sondern es gleichzeitig verstanden, einen eigenen in Richtung Woodhall abzuschießen. Gerade so, als hätte er geahnt, dass der lange, dürre Mann derjenige unter ihnen war, der sich am ehesten etwas auf seinen Status einbildete.
    »Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich ein examinierter Schiffschirurg werden möchte«, fuhr der blonde Mann freundlich fort, »es ist der Wunsch meines Großonkels, denn wir kommen aus einer Seefahrerfamilie.«
    »Und wie heißt Euer Großonkel, wenn man fragen darf?«
    Woodhalls Stimme klang säuerlich; er hatte sich noch nicht von dem Treffer erholt.
    »Lord Collincourt, Sir. Wir leben zusammen auf Greenvale Castle, einem kleinen Schloss an der Kanalküste.«
    »Lord Collincourt? Das ist nicht Euer Ernst!«, platzte Clowes heraus. »Seine Lordschaft habe ich persönlich vor ein paar Jahren von den Qualen eines
ulcus
befreit … äh, nebenbei, Herr Prüfling: Ihr wisst doch, was ein
ulcus
ist?«
    »Ja, Sir, ein Magengeschwür.«
    »Wenn der Herr Prüfling mit Lord Collincourt verwandt ist, wird er wahrscheinlich ebenfalls Collincourt heißen – und nicht ›von Campodios‹. Sehe ich das richtig?« Woodhall blickte fragend in die Runde. Man hörte ihm an, dass er langsam wieder Oberwasser bekam. Dann wandte er sich direkt an den Examinanden: »Warum habt Ihr Euch für diese Prüfung unter dem Namen Vitus von Campodios angemeldet, wenn Ihr in Wahrheit anders heißt?«
    »Nun, Sir«, der Prüfling zögerte kurz, »wie Ihr wisst, wuchs ich im Kloster Campodios auf. Ich war als Findelkind anno 1556 von dem alten Abt Hardinus, dessen Seele der Allmächtige gnädig sein möge, vor dem Haupttor gefunden worden. So wuchs ich unter Mönchen auf, betete, lernte, studierte viel, und die Kirche war Vater und Mutter zugleich für mich. Doch als ich zwanzig Jahre zählte und immer sicherer wurde, dass ich kein Mönch werden wollte, machte ich mich auf, meine Herkunft zu ergründen. Auf einer langen, gefahrvollen Reise, deren Einzelheiten zu erzählen hier zu weit führen würde, fand ich heraus, dass ich ein Collincourt bin. Es muss so sein. Denn alles, was dafür spricht, habe ich Punkt für Punkt zusammengetragen. Und dennoch fehlt mir das letzte Beweisstück in der Kette, eine Winzigkeit, die weder mich noch Seine Lordschaft stört, aber letztlich der Grund dafür ist, warum ich nicht offiziell den Namen Collincourt führe.«
    »Und was ist das für eine Winzigkeit?«, bohrte Woodhall nach, doch Banester, der endlich mit der Prüfung beginnen wollte, unterbrach:
    »Lasst es gut sein, Woodhall. Wir wollen nicht die Namen dieses jungen Mannes erforschen, sondern sein medizinisches Wissen. Er heißt Vitus von Campodios, so viel ist sicher, schließlich habe ich den Brief von diesem Pater Thomas aus dem Kloster. Alles andere soll uns hier nicht interessieren. Fangen wir an.«
    Banester schnaufte, zog ein großes Schnupftuch hervor und schnäuzte sich geräuschvoll. Dann, das Tuch wieder wegsteckend, hob er an: »Nun, Vitus von Campodios, lasst mich Euch zunächst erklären, wie das Ganze abläuft. Wir werden Euch viele Fragen stellen: Fragen zur Medizin im Allgemeinen und zur Cirurgia und ihren Instrumenten im Besonderen, ferner zum menschlichen Körper und seinen Funktionen und nicht zuletzt zur Kräuterheilkunde und ihrer praktischen Anwendung. Doch wird das Collegium seine Fragen nicht immer in Komplexen stellen, sondern mitunter auch bunt durcheinander, ganz wie es ihm beliebt. So wollen wir gleichzeitig Eure Geistesgegenwart prüfen – eine Eigenschaft, die dem Schiffschirurgen in

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