Der Chirurg von Campodios
vielerlei Hinsicht zugute kommt. Wohlan, zu Beginn eine aktuelle Frage: Sicher habt Ihr gehört, dass der
Morbus gallicus
, jene Plage aus Neu-Spanien, die auch als Lues oder Syphilis bekannt ist, immer weiter um sich greift. Was wisst Ihr über sie, und wie bekämpft Ihr sie?«
Der Prüfling schien etwas überrumpelt, fing sich aber rasch. »Nun, Professor, die Syphilis ist eine tückische Krankheit, die den Patienten über viele Jahre hinweg quälen kann. Man sagt, sie werde durch die, äh … Fleischeslust übertragen und begänne sich zuerst in Form eines scharfrandigen dunkelroten, feuchten Geschwürs am Geschlechtsteil zu zeigen, doch sind diese Erkenntnisse keineswegs unumstritten. Fest steht, dass der
Morbus gallicus
nach mehreren Jahren zu nässenden, juckenden Pusteln am ganzen Körper führt und später zu Verblödung, Lähmung und Tod.«
»Gut.« Banester klang knapp. »Soweit zu den Symptomen. Nun zur Therapie: Welche Maßnahmen könnt Ihr ergreifen, um das Leben des Patienten zu retten?«
»Nur wenige, und diese wenigen helfen kaum, denn die Syphilis ist praktisch unheilbar. Und wenn sie von Fall zu Fall doch kuriert werden kann, dann nur unter Inkaufnahme anderer Krankheiten. In concreto: Ich verordne Quecksilberschmierungen. Dabei wird der Patient am ganzen Körper mit Quecksilbersalbe eingerieben, eine Prozedur, die über kurz dazu führt, dass schwärende Wunden in Rachen und Gaumen entstehen, zudem bilden sich Geschwüre an den Lippen, und die Zähne fallen sämtlich aus. Von den wenigen Patienten, die auf diese Weise geheilt werden, stirbt jeder vorher tausend Tode.«
Woodhall mischte sich ein: »Wie viele Syphiliskranke habt Ihr schon behandelt, Herr Prüfling?«
»Keinen, Sir.«
»Keinen?« Woodhall schnaubte misstrauisch. »Und woher habt Ihr dann Euer Wissen?«
»Aus einem Werk namens
De morbis hominorum et gradibus ad sanationem
. Es ist ein Buch, das die wichtigsten Erkenntnisse aller großen Ärzte der Vergangenheit und der Gegenwart zusammenfasst. Pater Thomas ist der Herausgeber, doch muss ich hinzufügen, dass er selbst ebenfalls eine Reihe hervorragender Heilvorschläge beigesteuert hat. Im Falle der Syphilis sind es Abkochungen vom Guajakholz sowie die Verordnung der Salsarparriwurzel.«
»Ein interessanter Therapieansatz«, nickte Clowes beifällig. »Es wäre reizvoll, sich mit dem Pater darüber auszutauschen. Doch zurück zu Euch. Ihr habt die Quecksilberkur trefflich beschrieben. Dem, so denke ich, ist nichts hinzuzufügen. Lasst uns deshalb zu etwas kommen, bei dem wir Ärzte mehr ausrichten können.« Er wandte sich um und blickte auf die Wand in seinem Rücken. »Seht Ihr diese große Bildtafel, Herr Prüfling?«
»Jawohl, Sir.«
»Dann sagt mir, worum es sich dabei handelt.«
»Gern, Sir. Die Tafel zeigt einen so genannten Wundenmann – eine Figur zur Demonstration verschiedener durch Waffengewalt verursachter Verletzungen.«
»Richtig erkannt. Es ist eine Abbildung, die der berühmte Anatom und Cirurgicus Hanns von Gersdorff für sein Werk
Feldtbuch der Wundartzney
anfertigen ließ. Ein Werk von anno 1517, sehr beachtlich, auch wenn es seinerzeit nur auf Deutsch erschien.« Clowes erhob sich und trat an die Bildtafel heran. Sie zeigte die Strichzeichnung eines Mannes, der nackt bis auf einen kleinen Schurz dastand. In seinen Gliedmaßen steckten die unterschiedlichsten Waffen. »Ich weise auf die Verletzung hin, und Ihr, Vitus von Campodios, sagt mir, ob sie, normalen Heilverlauf vorausgesetzt,
curabilis
oder
incurabilis
ist. Ich nehme an, Ihr wisst, was diese Ausdrücke bedeuten?«
»Selbstverständlich, Sir. Zu den Fächern, die jeder Klosterschüler erlernen muss, gehört auch die lateinische Sprache.
Curabilis
bedeutet heilbar,
incurabilis
unheilbar.«
»Hm. Nun gut.« Clowes wurde sich bewusst, wie überflüssig seine Frage gewesen war. Dennoch: Es gab viele Examinanden, die ihren Caesar nicht gelesen hatten und sich in der Sprache der Wissenschaft nicht ausdrücken konnten. Dass manche trotzdem das Examen bestanden hatten, stand auf einem anderen Blatt. Clowes wies auf den Oberschenkel des Wundenmannes, in dem ein Pfeil mit eiserner Spitze steckte.
»Was haltet Ihr von dieser Verletzung, Herr Prüfling?«
»
Curabilis.
Rechtzeitige und fachmännische Behandlung vorausgesetzt, um dem Gangrän vorzubeugen.«
»Recte!« Clowes registrierte zufrieden, dass der Examinand die Hauptgefahr bei dieser Art Verletzung, den Wundbrand, unaufgefordert erwähnt
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