Der Chirurg von Campodios
Wasser und durchtränkt mit der so gewonnenen Flüssigkeit ein Tuch. Das Tuch legt man auf die Wunde, dann wird der Lein sämtliche Giftstoffe herausziehen und dafür sorgen, dass die Hitze entweicht.«
»Recte.« Clowes war nicht unbeeindruckt.
»Wohl gesprochen.« Auch Banester blickte zufrieden. Er hatte seinen massigen Leib hochgewuchtet und war neben den Prüfling getreten. »Und weil das so ist, will ich Euch aus den Fängen von Clowes erretten. Folgt mir.« Der schwere Mann schritt zum anderen Ende des Saals, wo die Bänke mit den verhüllten Gerätschaften standen. »Harvey! Komm her!«
Der Hausdiener, der bislang still in einer Ecke gesessen hatte, wieselte heran und hielt sich die Hand hinters Ohr. »Ich höre, Professor?«
Banester wies auf die linke Bank. »Nimm die Stoffbahn herunter, aber vorsichtig.«
Harvey tat wie ihm geheißen. Metall blitzte auf. Eine Fülle prächtiger medizinischer Instrumente wurde sichtbar.
Der Prüfling staunte.
»Nicht wahr, das ist ein hübsches Sortiment!«, schnaufte Banester. »Ich möchte sehen, ob … ob …« Er hielt inne. Seine Nase kräuselte sich, seine Oberlippe zitterte, und in seine Augen traten Tränen. »… ob … haaatschschschä!«
»Gesundheit!«, lächelte der Examinand, während Banester sich abwandte und in höchster Not sein Schnupftuch hervornestelte.
»Er möchte sehen, ob Ihr wisst, was da im Einzelnen vor Euch liegt«, ergänzte Clowes, der mit Woodhall gefolgt war.
»Sie sind wunderschön.« Fast andächtig wanderten die Augen des Prüflings über die blitzenden Geräte. »Es geht nichts über gutes Werkzeug.«
»Nicht wahr!« Banester, der sich ausgiebig geschnäuzt hatte, wischte sich abschließend die Nase. »Doch bevor Ihr ins Schwärmen geratet, werdet Ihr mir sagen, wie dieses Instrument heißt.« Er griff nach einem Gerät, das an einem Ende in ein längliches, zungenförmiges Blatt mündete. »Was ist das?«
Der Prüfling zögerte nicht einen Augenblick. »Ein Spatel, Sir. Man kann ihn für vielerlei verwenden. Der Form nach eignet dieser sich am besten, um die Zunge herunterzudrücken, damit der Blick in Gaumen und Rachen frei wird.« Er wies hinüber zur Bank. »Ich sehe, Ihr habt eine ganze Reihe davon. Spatel werden in erster Linie zum Herunter- und Auseinanderdrücken verwendet, man kann mit ihnen aber auch Arzneien verrühren oder verreiben, ja, sogar zum Kauterisieren eignen sie sich.«
»Fürwahr, Ihr lasst mir kaum Gelegenheit zu fragen, wenn Ihr die Antworten stets vorwegnehmt«, knurrte Banester. Doch insgeheim gefiel ihm die Art, wie der Mann sich für die Instrumente begeisterte. Wer sein Werkzeug liebte, ging auch gern und geschickt damit um. »In der Tat sind es eine ganze Menge Spatel. Aber wie Ihr seht, sind auch andere Instrumente reichhaltig vertreten.«
Nacheinander hielt er Sonden, Skalpelle, Nadeln, Sägen, Knochenmeißel, Wundhaken, Zangen, Lanzetten, Trepane und viele andere Werkzeuge hoch, und jedes Mal wusste der Prüfling nicht nur ihre Bezeichnung, sondern kannte auch genau ihre Beschaffenheit und Einsatzmöglichkeiten.
Endlich nahm der Examinator ein besonders merkwürdiges Werkzeug auf. Es hatte drei eiserne, abgerundete Stäbe, die so dicht beieinander standen, als würden Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengepresst. An einem der Finger befand sich, rechtwinklig abgehend, ein Gewinde. Die beiden anderen waren durch Schenkel mit dem Gewinde verbunden. »Wisst Ihr, was das ist?«
»Jawohl, Sir.« Der Prüfling nahm das Instrument und deutete auf die drei Finger. »Diese Konstruktion nennt man
priapiscus
. Einer der Finger kann über das Gewinde zurückgeschraubt werden, wobei sich die beiden anderen mittels der Schenkel automatisch auseinander bewegen. Das Ganze ist ein Spreizapparat und nennt sich Speculum.«
»Sehr schön. Wo kommt das Speculum zum Einsatz?«
»Im Anus und in der Vagina. Es gibt verschiedene Größen, meistens besteht der
priapiscus
aus zwei oder drei Fingern, manchmal aber auch aus vier. Immer jedoch ist die Spreizstellung zu fixieren, damit der Cirurgicus in Ruhe arbeiten kann.«
»Das vierfingrige Speculum ist das stärkste. Wisst Ihr, wobei es häufig Verwendung findet?«
»Äh … offen gesagt, nein, Sir.«
»Bei der Geburt. Habt Ihr schon einmal einer Frau in ihrer schwersten Stunde geholfen?«
»Nein, Sir.«
»Nein? Nun …«
»Nun, lieber Banester, das dürfte bei einem Schiffschirurgen kaum ins Gewicht fallen«, schaltete Clowes sich unerwartet ein.
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