Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Cirurgia. Hier war er mein vorzüglichster Schüler, der zu den größten Hoffnungen Anlass gab.
    Doch hat es dem Allmächtigen in seinem unergründlichen Ratschluss gefallen, den Jüngling nach Abschluss des Studiums zweifeln zu lassen, was unter anderem dazu führte, dass er die Ordensgelübde nicht ablegte und stattdessen in die Welt hinauszog. Dieses trug sich im Jahre 1576 zu, und seitdem ist von ihm nur selten Kunde nach Campodios gedrungen. Dennoch weiß ich, dass er so bald nicht wieder in den Schoß der Kirche zurückkehren wird, vielmehr sich sehnlichst wünscht, auch von weltlicher Seite den Grad seiner ärztlichen Kunst bestätigen zu lassen. Dies am liebsten als Schiffschirurg …
    Banester ließ den Brief sinken und zog vernehmlich die Nase hoch. Was glaubt das Jüngelchen eigentlich, wie es auf einem englischen Schiff zugeht?, dachte er grimmig. Besonders, wenn es eine Schlacht zu schlagen gilt? Da fließen Blut, Schweiß und Tränen! Da wird geschrien, gelitten und gestorben! Und der Schiffschirurg ist immer mittendrin. Er schient, renkt, kautert und amputiert! Alles Tätigkeiten, die ein bisschen anders sind, als den Furunkel an einem Mönchshintern aufzustechen!
    Sein Sinn für Gerechtigkeit meldete sich und sagte ihm, dass es einem Gentleman nicht gut anstand, den Stab über einen Prüfling zu brechen, nur weil er aller Wahrscheinlichkeit nach ein verweichlichter Klosterjüngling war. Der Bursche hatte sich ordnungsgemäß zum Examen angemeldet, und eine Ausbildung hatte er auch, denn an den Worten seines Fürsprechers war nicht zu zweifeln. Im Übrigen konnte er, Banester, froh sein, dass es überhaupt Männer gab, die sich einem Examen zum Schiffschirurgen stellten. Noch immer konnte sich jeder hergelaufene Knochenflicker ungestraft Wundchirurg nennen, was dazu führte, dass nach wie vor mit der Gesundheit der englischen Seefahrer Schindluder getrieben wurde.
    Ein anerkannter Abschluss musste endlich her, doch sein Ruf nach offiziellem Studium und Examen war zwar gehört worden, aber, wie überall auf der Welt, im zähen Mahlstrom der Behörden untergegangen. Nicht einmal die Tatsache, dass Ihre Majestät seinen Forderungen wohlwollend gegenüberstand, hatte daran etwas ändern können.
    Also hatte er selbst die Initiative ergriffen und zusammen mit Clowes und Woodhall ein
Collegium medicum
gegründet, das regelmäßig Prüfungen durchführte. Sie nannten das Ganze Einschiffungsexamen – eine Prozedur, die in den weitläufigen Räumen von Banesters Haus stattfand und, dank des hervorragenden Leumunds der drei Examinatoren, zumindest halboffiziellen Charakter erlangt hatte. Dass ihr Bemühen sich mittlerweile bis nach Spanien herumgesprochen hatte, gab Banester neuen Schwung.
    »Wirst du ein paar Kerle von den Kais auftreiben können, Harvey?«, fragte er und begab sich erneut zur Tür. »Du weißt schon, wozu wir sie brauchen.«
    »Aber natürlich, Sir, das wird mir gelingen!« Der Diener klatschte theatralisch in die Hände. »Ich werde sie über Mittag beschaffen. Falls Ihr sie erst später am Nachmittag braucht, sperre ich sie solange in die Abstellkammer!«
    »Schön, heute Vormittag magst du der Prüfung folgen. Aber stumm wie ein Fisch, wenn ich bitten darf. Und wehe, du machst Faxen!«
     
    »Guten Morgen, Gentlemen!« Banester betrat, Harvey im Gefolge, gemessenen Schrittes den Examiniersaal, einen schmucklosen Raum, der fünfundzwanzig mal dreißig Fuß im Geviert maß und auf der Südseite drei hohe, zur Themse hinausgehende Fenster aufwies. An der hinteren Wand standen zwei lange Bänke, auf die man Gegenstände von unterschiedlichster Größe und Beschaffenheit gelegt hatte. Die Gegenstände waren nicht genau zu erkennen, denn große Stoffbahnen deckten sie ab.
    Der Hausherr nickte den Anwesenden zu. Wie angekündigt saßen da bereits Clowes und Woodhall, seine beiden Co-Examinatoren. Sie wirkten noch etwas schläfrig zu dieser Stunde und nickten deshalb nur kurz zurück. Man kannte sich. Einige Schritte entfernt saß der Prüfling Vitus von Campodios.
    Der Mann, das fiel sofort ins Auge, entsprach in seinem Äußeren keineswegs dem Vorstellungsbild eines Klosterbruders. Banester, der schwammige Gesichtszüge und einen von reichlicher Speise gerundeten Leib erwartet hatte, runzelte überrascht die Stirn. Der Bursche war von fester Statur mit gut proportionierten Gliedmaßen. Er hatte blonde Locken, eine gerade Nase und einen ausdrucksstarken Mund. In der Mitte des Kinns saß ein

Weitere Kostenlose Bücher