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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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hatte. »Und was sagt Ihr zu diesem Oberarm, der von einer Keule getroffen wird?«
    »
Curabilis.
Stumpfe Schlagwaffen erzeugen meistens einfache Frakturen. Der Oberarmknochen dürfte sauber zusammenheilen, vorausgesetzt, eine ordentliche Bruchlade kommt zur Anwendung.«
    »Ihr könnt mit einer Bruchlade umgehen?«
    »Jawohl, Sir.«
    »Was unternehmt Ihr, wenn Ihr nur eine Lade habt, aber zwei Brüche versorgen müsst?«
    »Ich gehe nacheinander vor. Erst versorge ich den leichteren Bruch, ziehe mit der Lade die Knochen wieder in ihre Position, schiene sie und lege einen festen Verband an. Dann setze ich die Lade beim zweiten Bruch ein.«
    »Warum kümmert Ihr Euch zuerst um die leichtere Fraktur? Wäre es umgekehrt nicht besser?«
    »Pragmatische Gründe, Sir. Bei einem schweren Bruch kann das Armstrecken und Einpassen der Knochen langwierig sein. Kümmere ich mich aber zunächst um den leichteren Bruch, habe ich die erste Behandlung schon geschafft. Außerdem mag sich der Verletzte mit dem schwereren Bruch dadurch ermutigt fühlen.«
    »Hm. Zurück zum Wundenmann: Dieser Dolch steckt tief in seiner Brust, was sagt Ihr dazu?«
    Der Prüfling zögerte. »Wenn Ihr gestattet, schaue ich mir die Abbildung aus der Nähe an.« Er trat an die Tafel und studierte eingehend den Sitz der Wunde. »
Incurabilis.
Der Dolch sitzt so, dass die Lunge mit Sicherheit getroffen ist. Wahrscheinlich auch die eine oder andere Ader. Der Verletzte verblutet innerlich, oder aber er erstickt.«
    »Dieser Armbrustpfeil im Hals?«
    »Nun, der Pfeil steckt etwas seitlich. Vielleicht
curabilis
, sofern nicht der Kehlkopf oder Hauptadern getroffen sind. Da dies aber selten der Fall ist, wohl
incurabilis

    »Die durch den Morgenstern eingedrückten Rippen?« Clowes fragte jetzt immer schneller.
    »
Curabilis.
Ein Streckverband und einige Wochen Ruhe genügen in der Regel.«
    »Das Handgelenk, das von diesem Schlachtmesser nahezu durchtrennt wurde?«
    »Die Hand ist nicht zu retten, wohl aber der Mann. Deshalb:
curabilis.
«
    »Was tut Ihr im Einzelnen?«
    »Ich trenne mit dem Skalpell die Hand ganz ab, dabei lasse ich …«
    »Halt! Habt Ihr nicht etwas vergessen?«
    »Äh … wie meint Ihr?« Der Prüfling war für einen Augenblick verwirrt. Dann fasste er sich. »Natürlich! Ich binde dem Verletzten als Erstes den Arm ab, damit der Blutfluss unterbrochen wird.«
    »Und dann?«
    »Dann trenne ich mit dem Skalpell die Hand ganz ab, wobei ich einen Hautlappen überstehen lasse …«
    »Wozu?«
    »Damit ich die Wunde später besser vernähen kann. Vorher jedoch brenne ich die blutführenden Gefäße aus.«
    »Womit macht Ihr das?«
    »Mit dem Kauter.«
    »Gut. Wenn Ihr die Wunde kauterisiert und vernäht habt, was macht Ihr dann?«
    »Ich trage eine Honigsalbe auf und verbinde sie. Anschließend lege ich den Arm in eine Schlinge, um ihn ruhig zu stellen.«
    »Ist das alles?«
    »Ja.«
    »Nein. Ihr habt vergessen, dass der Arm noch immer abgebunden ist.«
    »Verzeihung, äh … Selbstverständlich habe ich den Abbinderiemen vorher gelöst.«
    »In der Cirurgia, mein Bester, ist nichts selbstverständlich.«
    Der Prüfling schluckte. »Jawohl, Sir.«
    »Welche Vorteile bietet ein Verband?«
    »Ein Verband?«
    »Ihr habt recht gehört, ein Verband.«
    »Nun, Sir«, in den Gesichtszügen des Mannes arbeitete es, doch er brauchte nicht lange, um sich zu besinnen, »ein Verband schützt die Wunde vor äußeren Einflüssen, zum Beispiel vor Staub und Ausdünstungen, ferner saugt er die Wundausscheidungen auf und hält Salben oder sonstige Auflagen an ihrem Ort.«
    »Ist das alles?«
    »Nein, Sir, zu den Aufgaben des Verbands gehören außerdem das Ausüben von Druck oder Zug auf das kranke Glied und das Ruhigstellen beweglicher Teile.«
    »Recte.« Clowes zeigte sich zufrieden. »Wenden wir uns wieder dem Wundenmann zu: Sein linkes Auge wird durch glühendes Eisen geblendet.
Curabilis?
«
    »Das Auge leider nicht, Sir. Doch denke ich, dass die Wunde geheilt werden kann. Ich empfehle eine Behandlung mit abgekochtem Leinsamen.«
    »Warum Leinsamen? Warum nicht einfach ein gutes Unguentum?«
    »Eine Salbe nimmt der Wunde nicht genug Hitze.«
    »Wieso?«
    »Nun, Sir, die Hitze durch Feuer ist immer eine besondere: Sie ist besonders stark und besonders wild. Nach der Vier-Säfte-Lehre des Galenos bekämpft man sie am besten durch einen Stoff, der gegensätzlich wirkt – in diesem Fall durch den Lein, denn Lein ist warm und sanft. Man kocht Leinsamen in

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