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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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mich am Leben. Ktiko wusste, was mit Sika, meiner Frau, geschehen war, aber er sagte es mir nie. Und ich wollte es auch nicht erfahren. Man weiß ja, was Mörderbrut mit Frauen macht …
    Irgendwann fing ich an, mein Haus auszubessern. Als ich damit fertig war, fällte ich weitere Bäume, um die Lichtung zu vergrößern. Ich wollte freies Schussfeld haben für den Fall, dass die Mörderbande zurückkehrte. Ich wollte ihnen einen gebührenden Empfang bereiten. Ich ließ mir Musketen besorgen, brachte mir sogar die Kunst der Schlossmacherei selber bei. Ich tat alles, um sie töten zu können, wenn sie wiederkommen würden. Doch sie kamen nie.
    Ich arbeitete verbissen, Tag und Nacht, und ich merkte, dass ich über der Arbeit den Schmerz vergaß, jedenfalls für einige Stunden. Ktiko besuchte mich in dieser Zeit oft, und ich gewöhnte mir an, ihm meine Klingen mitzugeben, damit er sie für mich verkaufte. Ich wollte seit dem Überfall nichts mehr mit der Welt da draußen zu tun haben.«
    »Un trotzdem haste uns geholfen?«
    »Es war irgendwie selbstverständlich. Von euch ging ja auch keine Gefahr aus, im Gegenteil, ihr lagt wie tot in dem Boot, und Tom jaulte und wedelte mit dem Schwanz, immer abwechselnd. Erst später begann ich zu begreifen, dass vielleicht doch noch der eine oder andere lebte. Na ja, jedenfalls bin ich froh, dass ich euch gerettet habe.
    Seitdem ihr hier seid, ist alles anders. Ich spüre wieder, wie gern ich lebe. Die Farbe der Sonne, die Klarheit der Luft, die Laute der Tiere – alles das erlebe ich wieder viel stärker, gerade so, als wär’s zum allerersten Mal.«
    Phoebe zog ihn sacht an sich. »’s is schön, wiede das sachst, Haff, schön isses.«
    Er schluckte. »Ich wünschte, ihr könntet für immer hier bleiben. Durch euch habe ich erst gemerkt, wie einsam ich die letzten Jahre war. Nun, es ist klar, dass ihr fort müsst. Vitus hat mir erzählt, dass er Arlette, seine große Liebe, finden will, irgendwo nördlich von Kuba, auf einer Insel namens Roanoke. Aber ich dachte, dass vielleicht du, äh … ich meine, ich wollte dich fragen, hmja … also, ob du dir vorstellen kannst …«
    Phoebe schaute ihm in die Augen und löste sich von ihm. »Un da haste mir Blumen mitgebracht, nich?«
    Haff lief puterrot an. »Du hast es also doch gesehen! Nun, äh … dann ist es sowieso egal. Hmja …« Umständlich förderte er den Strauß aus seinen Kleidern hervor. Die Blumen waren mittlerweile in einem jämmerlichen Zustand, noch zerdrückter und zerknickter als zuvor. »Ich wollte dich bitten, zu bleiben«, flüsterte er und blickte angestrengt auf einen Punkt an der Wand. »Ich glaube, gesehen zu haben, dass du dich hier wohl fühlst. Du magst die Tiere, und die Tiere mögen dich. Und ich, äh … ich mag dich auch, und …«
    Er unterbrach sich hastig. »In allen Ehren natürlich. Bin ja schon ein alter Mann. Aber immer noch rüstig, verstehst du? Ich nehme es noch mit manch Jüngerem auf, Phoebe, und kann meinen Beruf noch viele Jahre ausüben. Du hättest ein schönes Leben hier, immer satt zu essen und, äh … und überhaupt: Dieser Strauß ist für dich. Es sind, glaube ich, Orchideen, ich habe sie extra im Wald gepflückt. Sie sind natürlich nicht so groß, weil die Regenzeit noch nicht eingesetzt hat, die kommt immer erst im April. Wenn es regnet, schießen die Blumen erst richtig ins Kraut, verstehst du, und dann sammle ich dir neue, äh … wenn du dann noch bei mir bist. Na, was sagst du?«
    Phoebe nahm die zerdrückten Orchideen, schloss die Augen und schnupperte daran. Trotz ihres erbarmungswürdigen Aussehens dufteten sie berauschend. »Bist ’n Kavalier, Haff, bei den Knochen meiner Mutter, bist ’n echter Kavalier.«
     
    Der schwere Flaschenzug ächzte, als Haff und Hewitt daran zogen, um die defekte Glocke anzuheben. Lange hatte der Alte überlegt, wie sie am besten zu reparieren sei, und er war schließlich zu der Überzeugung gekommen, dass es nur eine einzige Möglichkeit gab: Er musste die Glocke an ihrer Krone anheben, dann kippen und anschließend die Stelle mit der gerissenen Außenhaut ins Feuer der Esse dirigieren. Gleichzeitig war ein entsprechendes Stück Bronze zu erhitzen, das mit der richtigen Temperatur nach der Methode des Feuerschweißens eingepasst werden musste.
    Die Schwierigkeit war nur, neben dem Gewicht des Glockenkörpers und der handwerklichen Probleme, dass er die genaue Zusammensetzung der Bronze nicht kannte. Die Zinnanteile beim

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