Der Chirurg von Campodios
hinzu. »Ich hoffe, du hast keine Schmerzen, Haff? Es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte, außer, dir weiterhin Alkohol zu verordnen, doch auch der geht allmählich zur Neige.«
Nach wie vor war Brandy das einzige Mittel, das Vitus im Kampf gegen den Wundschmerz zur Verfügung stand. Er hatte zusammen mit Enano und dem Magister einige Ausflüge in den Regenwald unternommen, um Ausschau zu halten nach Pflanzen, die Gleichartigkeiten mit
Cannabis, Papaver somniferum, Hyoscyamus niger
oder
Calla palustris
aufwiesen, doch ihre Suche war nicht erfolgreich gewesen. Nicht einmal Kräuter, die entfernt Ähnlichkeit mit den benötigten hatten, waren ihnen begegnet. Schließlich hatte der Magister geseufzt:
»Ich sehe nichts, obwohl ich mir die Augen ausgucke, und ich will euch auch sagen, warum: Erstens, weil ich kurzsichtig bin, und zweitens, weil in diesen Gefilden weder Hanf noch Schlafmohn noch Bilsenkraut noch Drachenwurz vorkommen. Sicher gibt es hier das eine oder andere Kräutlein mit ähnlicher Wirkung, aber wir kennen es nicht. Vielleicht tun’s die Indianer. Aber die kennen wir auch nicht. Wir sollten umkehren und eine Mahlzeit zu uns nehmen.«
Mitten in Vitus’ Gedanken hinein sagte Haff: »Es juckt höllisch, Vitus! Bei meiner Seele, noch nie hat mich etwas so gejuckt wie das verdammte Bein!«
Vitus horchte auf. »Heißt das, die Schmerzen haben nachgelassen und einem Juckreiz Platz gemacht?«
»Wenn du’s so ausdrücken willst.« Haff stöhnte erneut. »Allmächtiger im Himmel, als hätte ich hundert Moskitostiche auf einem einzigen Fleck! Bitte, Vitus, bitte, nimm mir den Verband ab!«
Wie um die Worte Haffs zu unterstreichen, erhob sich Tom und bellte. Die plötzliche Unruhe hatte sich auf ihn übertragen.
»Unmöglich.« Vitus’ Stimme klang streng, obwohl er innerlich jubelte. Dass Haffs Bruchstelle juckte, war ein Zeichen für den Heilungsprozess. Um sicherzugehen, beugte er sich vor und beroch den Verband, so, wie er es die letzten Tage regelmäßig getan hatte. Nein, der Fäulnisgestank, der mit dem Wundbrand einherging, war auch heute nicht vorhanden. »Du musst dich noch gedulden, Haff, aber dein Bein heilt gut, so viel ist sicher. Tröste dich mit diesem Gedanken.«
»Meinst du, ich werde wieder wie früher gehen können? Sag, meinst du das?« Haff klang freudig erregt. Der Juckreiz schien, zumindest vorübergehend, vergessen.
»Du wirst wieder gehen können. Ich denke, das kann ich dir versprechen. Allerdings: ob wieder so gut wie früher, ist fraglich. Vielleicht wirst du ein wenig hinken, weil das Bein kürzer zusammenwächst, aber gehen können wirst du.«
»Und werde ich auch wieder schmieden?«
»Natürlich, aber vorher muss sich die Muskulatur des Beins wieder ausbilden. Wenn eine Extremität wochenlang nicht bewegt wird, schwindet die Muskelmasse so stark, dass sie kaum noch vorhanden ist. Das Ganze braucht Zeit und Geduld.«
»Die hab ich. Hauptsache, ich werde wieder gesund.«
»Das wirst du.«
Haff strahlte Phoebe an: »Hast du das gehört, Phoebe? Vitus sagt, ich werde wieder laufen können, ganz so wie früher, und arbeiten auch, ist das nicht großartig!«
»Ja, ’s is großartig, großartig isses. Hab nie nix anderes von Vitus erwartet.«
Zwei Tage später, Haff hatte seine ersten Gehversuche bereits hinter sich, bat er alle Bewohner des Hauses zu sich ans Lager. Als sie vor ihm standen und fragende Gesichter machten, sagte er: »Setzt euch, Freunde, ich muss etwas mit euch besprechen.«
Er machte eine kurze Pause, bis jeder einen Platz gefunden hatte. Dann hob er an: »Ich nannte euch eben absichtlich ›Freunde‹, denn das seid ihr inzwischen für mich: gute Freunde. Noch nie in meinem Leben gab es so viele Menschen, die so viel für mich getan haben und die mir so ans Herz gewachsen sind.«
Er räusperte sich umständlich. »Dennoch rückt für uns die Stunde des Abschieds näher, und der Gedanke daran macht mich traurig. Andererseits, wenn man krank darniederliegt, hat man viel Zeit zum Nachdenken, und so bin ich darauf gekommen, dass eine Freundschaft nicht unbedingt dann endet, wenn man sich trennt. Eine Freundschaft ist ein wunderbares Gefühl, warm und stetig und zuverlässig wie ein ewiges Feuer. Ich weiß, dass ich euch ein Leben lang dieses Gefühl entgegenbringen werde, auch wenn wir uns niemals wiedersehen.«
Abermals räusperte er sich. »Und dieser Gedanke macht mich froh.«
»Oh, ’s is so traurich, wasde da sachst, Haff, so traurich
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