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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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genug rauchen.« Er stand, frisch rasiert und sauber gekleidet, mitten auf der Lichtung und blickte sich um. »Wo ist eigentlich Vitus?«
    Hewitt, der das schwere Bündel mit den Klingen trug, antwortete: »Nach dem Abschied von Haff wollte er Phoebe holen. Sie hat sich den ganzen Morgen noch nicht sehen lassen.«
    Kaum hatte er das gesagt, traten die beiden Genannten aus der Vorratskammer heraus. Vitus machte ein betretenes Gesicht, Phoebe sah verheult aus.
    Der Magister blinzelte. »Was sehen meine entzündeten Augen, verehrteste Phoebe? Abschiedsschmerz? In letzter Zeit hast du ganz schön nah am Wasser gebaut, wenn die Bemerkung gestattet ist. Aber nun komm! Den Zwerg juckt’s schon in den Füßen!«
    Statt einer Antwort heulte Phoebe erneut los. Vitus stand schulterzuckend daneben.
    »Aber, aber.« Der kleine Gelehrte ging auf sie zu und legte ihr begütigend die Hand auf die Schulter, was einen weiteren Weinkrampf auslöste.
    »’s is furchtbar, furchtbar isses. Ihr werdet mir so fehlen, so fehlen, ja, ’s werdet ihr mir.«
    Der Magister runzelte seine hohe Stirn. »Wir werden dir fehlen? Du sprichst in Rätseln, Verehrteste.«
    »Nee, nee, ’s is ganz einfach. Ich bleib bei Haff un den Tieren.«

Die Orchideenhändlerin Francisca
    »Meine Gebärmutter spricht? Bei allen Heiligen! Was spricht sie denn?«
     
    E in frischer Wind wehte über die Punta Sotavento im Norden Habanas, als Francisca, das Weib des Plankensägers Jaime, sich im Morgengrauen erhob. Noch bevor sie die Tätigkeiten des Tages aufnahm, trat sie wie stets vor die Tür und blickte hinüber zur Mündung des Canal del Puerto. Einige Möwen zankten am Ufer um einen Fischkadaver. Die See war grau und kabbelig. Es würde, trotz des klaren Himmels, kein besonders warmer Tag werden.
    Francisca fröstelte und zog den capeartig aufgesetzten Kragen ihrer Bluse höher. Es gab ein metallisch-klingelndes Geräusch, verursacht durch eine Doppelreihe eng befestigter Silberbroschen, die sich, von ihrem üppigen Busen ausgehend, weit um ihre Schultern rankten. Die Broschen waren aus spanischen Silbermünzen gefertigt und stellten ihren wichtigsten Besitz dar.
    Es war gut, dass es nicht so heiß werden würde, denn heute fand unten am Hafen der Markt statt, auf dem auch Francisca ihren Stand hatte. Sie war auf Orchideen spezialisiert, prachtvolle Blumen, die von Kinderhänden für sie gesammelt und in irdenen Wassertöpfen angeliefert wurden.
    Kinder. Eigene Kinder. Bei dem Gedanken an kleine, mit offenen Mündchen nach Milch quäkende und an den Brustwarzen ihrer Mütter nuckelnde Säuglinge wurde Francisca das Herz schwer. Wie beneidete sie ihre Nachbarinnen, die allesamt fruchtbar wie die Säue zu sein schienen und Jahr um Jahr niederkamen!
    Auch das Kind, das Jaime vor ein paar Wochen mit nach Hause gebracht hatte, vermochte ihren Kummer nicht zu lindern. Denn es war kein Kind. Francisca schnaufte verächtlich. Männer! Sie waren in mancher Hinsicht so dumm! Natürlich war es kein Kind gewesen, mit dem er sie überrascht hatte. Eher eine junge Frau. Gertenschlank wie ein Kind, gewiss, aber doch größer als sie selbst, mit deutlich sich abzeichnenden Rundungen unter dem Umhang.
    Überhaupt der Umhang. Das Mädchen zog ihn niemals aus. Nur die gebenedeite Mutter im Himmel mochte wissen, wie sein Gesicht aussah. Welch seltsames Gebaren, zumal das Mädchen niemals sprach und sich nur durch Kopfnicken, Kopfschütteln und Fingersprache verständlich machte!
    Francisca seufzte, während sie wieder zurück in die Hütte schlurfte, um den Mais für die Abendmahlzeit vorzubereiten. Jaime musste, wenn er zurückkam, etwas zu beißen haben. Er war ein guter Mann. Er trank nicht. Er hurte nicht. Er stand jeden Morgen noch vor ihr auf und ging zu seiner Arbeit auf der Werft. Aber was hatte er sich nur dabei gedacht, als er ihr dieses Mädchen nach Hause brachte? Glaubte er wirklich, es könnte so etwas wie ein Ersatz für einen süßen, kleinen Säugling sein?
    Sie nahm den Holzstampfer aus der Ecke und warf ein paar Hände voll Mais in den aus einem Baumstumpf gefertigten Mörser. Mit gleichmäßigen, abwechselnd stampfenden und mahlenden Bewegungen begann sie die Körner zu zerkleinern. Während sie arbeitete, wanderten ihre Gedanken weiter, und eine Kundin fiel ihr ein, die öfter Blumen bei ihr kaufte. Es war eine gut gekleidete Señora namens Doña Inez aus der Oberstadt. Sie hatte beim letzten Mal strahlend auf ihren fülligen Leib gedeutet und »Sieh nur,

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