Der Chirurg von Campodios
Francisca!« gerufen. »Don Alberto und ich hatten schon nicht mehr daran geglaubt, doch nun ist es geschehen. Ich bin guter Hoffnung! Es hat genützt!«
Während Francisca weiterstampfte, rief sie sich noch einmal den Wortlaut von Doña Inez’ Ausruf in Erinnerung. Es war klar: Die Kundin und ihr Gatte hofften seit Jahren auf ein Kind, doch die Heilige Mutter hatte ihnen stets diesen Herzenswunsch versagt – genau wie ihr selbst.
Aber Doña Inez hatte noch etwas anderes gesagt: »Ich bin guter Hoffnung!« Und: »Es hat genützt!«
Als Franciscas Überlegungen so weit fortgeschritten waren, wurde sie plötzlich schrecklich aufgeregt. Was war das, was da genützt hat?, fragte sie sich. Gibt es noch etwas anderes, das helfen kann? Etwas, das ich, neben meinen vielen Gebeten und Besuchen in der Kirche, noch nie versucht habe?
Sie nahm sich vor, Doña Inez auf jeden Fall darauf anzusprechen, vorausgesetzt, sie würde heute zu ihrem Stand kommen. Und wenn sie nicht kam? Nicht auszudenken, wenn es so wäre! Francisca warf den Stampfer zur Seite, bekreuzigte sich und fiel auf die Knie:
»Heilige Mutter Gottes, ich flehe Dich an,
gib, dass Doña Inez aus der Oberstadt,
die gesegneten Leibes ist,
heute an meinen Blumenstand kommt.«
Sie wollte schon »Amen« sagen, da fiel ihr noch etwas ein:
»Ich will auch in der Kirche
ein Dutzend feinster Wachskerzen
für Dich anzünden.
Ja, Heilige Mutter, das will ich!
Amen.«
Francisca stand auf, bekreuzigte sich nochmals und hörte im selben Augenblick ein leises Geräusch. Das Mädchen, das in der Abstellkammer untergebracht war, hatte den Raum betreten. »
Buenos días
, Chica«, sagte Francisca. Sie nannte die Verhüllte grundsätzlich »Chica«, Chica wie Mädchen.
Chica schlug zum Gegengruß die Augen nieder.
»Du kannst mich bei der Stampfarbeit ablösen. Wenn du fertig bist, backst du die Maisfladen für heute Abend. Aber achte darauf, dass sie schön flach sind. Ich habe dir ja gezeigt, wie es gemacht wird. Anschließend darfst du dir einen oder zwei nehmen, auch Käse wäre noch da. Wenn du so weit bist, gibst du mir Bescheid. Wir gehen dann zum Markt. Bis dahin muss ich noch ein paar Sachen vorbereiten, die wir zusätzlich feilhalten können.«
Abermals schlug Chica die Augen nieder.
Auf dem Hafenmarkt von Habana herrschte fast noch mehr Lärm als auf dem nahe gelegenen Werftgelände. Schreie, Gelächter, Flüche schwirrten durch die Luft. Irgendwo wurde mit Inbrunst ein Kirchenlied gesungen, begleitet von Kindergekreische, Zoten und Beschimpfungen. Bettler krächzten nach Almosen, Hunde heulten, Hühner gackerten, und es gab keine Ware, auch nicht die kleinste, um die nicht lauthals und hartnäckig gefeilscht worden wäre.
Neben den Orchideen bot Francisca an diesem Tag auch einige selbst gefertigte Gebrauchsgegenstände an, darunter einen lederbezogenen Silberputzstab, mehrere Fächer aus Truthahnschwanzfedern, die zum Feueranfachen dienten, ein paar Säckchen aus Hirschleder als Behältnis für Münzen und ein Webgitter, mit dem sich perlenverzierte Bänder herstellen ließen. Alle diese Dinge konnten ihren indianischen Ursprung nicht verhehlen und wiesen auf Franciscas Abstammung hin.
Gegen Mittag erschien tatsächlich Doña Inez aus der Oberstadt, begleitet von einer dicken Küchenmagd, die ihr die eingekauften Waren trug. »Hast du auch kleine rosafarbene Orchideen, Francisca?«, fragte sie. »Ich brauche mindestens drei Dutzend. Don Alberto und ich erwarten heute Abend erlesene Gäste, und ich möchte die Tafel besonders hübsch dekorieren lassen.«
»Die hab ich, Doña Inez.« Francisca knickste höflich und starrte wie gebannt auf den gewölbten Leib ihrer Kundin.
»Es können auch vier Dutzend sein. Wichtig ist, dass die Blumen frisch sind. Sie sind doch frisch, oder?«
Francisca starrte weiter auf die Leibesrundung.
»Francisca, hörst du mich?«
»Äh … ja natürlich, Doña Inez, verzeiht. Ja, ich habe kleine Orchideen.« Sie wies auf ein paar Krüge, in denen das Gewünschte stand.
»Würdest du sie mir auch verkaufen?«
»Äh … ja.« Francisca nannte den Preis, und alsbald lagen die Blumen im Korb der Küchenmagd. »Doña Inez …« Francisca wusste nicht, wie sie anfangen sollte.
»Was ist denn noch?« Die Dame von Stand verzog ungeduldig den Mund. Er war blutrot geschminkt. Auf ihrer Stirn, dicht über den stark betonten Augenbrauen, bildeten sich winzige Schweißtropfen. Sie trug ein schweres malvenfarbenes Kleid
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