Der Chirurg von Campodios
aus Atlas, das, ihrer zunehmenden Leibesfülle wegen, vorn ausgelassen worden war – eine Maßnahme, die von ihren Freundinnen als unmöglich betuschelt wurde. Doña Inez wusste das. Doch sie war so selig über ihren Zustand, dass sie ihn, ganz gegen die Etikette, aller Welt zeigen musste.
»Auf ein Wort unter vier Augen, wenn Ihr erlaubt, Doña Inez.« Francisca gab ihrer Stimme einen geheimnisvollen Klang.
»Ja?« Neugierig geworden, ließ sich die Dame ein, zwei Schritte beiseite ziehen.
»Doña Inez, erlaubt mir die Frage, wie es kommt, dass Ihr schwanger geworden seid.« Kaum hatte Francisca das gesagt, wurde ihr bewusst, wie töricht ihre Worte klingen mussten. Eilig fügte sie hinzu: »Nun, natürlich, äh … ich weiß wohl, wie ein Kind entsteht …« Erneut brach sie ab.
Eine Falte begann sich über der Nasenwurzel von Doña Inez zu bilden.
Francisca beschloss, das Pferd von der anderen Seite aufzuzäumen: »Doña Inez, ich wünsche Euch von Herzen alles Gute, Euch und dem Ungeborenen, das sicher bald das Licht der Welt erblicken wird. Oh, wie glücklich wäre ich, in Eurer Lage zu sein, Señora! Jaime, mein guter Mann, und ich wünschen uns seit vielen Jahren nichts sehnlicher als ein Kind, aber der Heiligen Mutter hat es bis heute nicht gefallen, uns zu erhören! Obwohl es in ganz Habana keine Christin gibt, die ihr eifriger dient als ich.«
»Ach, daher weht der Wind.« Die Falte glättete sich wieder. »Nun, warum soll ich es dir nicht sagen, du hast mir immer gute Ware verkauft. Höre denn: Ich bin zu einer alten Frau gegangen, die eine Wegstunde westlich von Habana im Wald haust. Sie soll eine Heilerin sein. Man sagt ihr wundersame Kräfte nach, und wie du siehst, zu Recht.«
Als hätte sie damit schon zu viel verraten, machte Doña Inez auf dem Absatz kehrt. Die Küchenmagd mit sich fortziehend, rief sie noch zurück: »Frage nach der alten Marou.«
Dann war sie fort.
»Marou … Marou … Marou.« Wie eine Beschwörungsformel wiederholte Francisca den Namen der Heilerin, die eine Wegstunde westlich von Habana wohnte. Eine Wegstunde, das war nicht sehr weit. Genau betrachtet, war es sogar ziemlich nah. Ein Gedanke keimte in ihr auf, und sie beschloss, ihn sofort in die Tat umzusetzen.
»Chica!«
Die verhüllte Gestalt, die sich unauffällig im Hintergrund gehalten hatte, blickte auf.
»Ich muss fort. Es wird länger dauern. Warte also nicht auf mich, sondern geh bei Marktschluss nach Hause. Vielleicht kannst du bis dahin noch einiges verkaufen. Du weißt ja, wie viel ich für meine Waren nehme, und dann … Bei allen Heiligen!« Francisca schlug sich gegen die Stirn. »Du kriegst ja keinen Ton heraus, wirst dein Lebtag keinen Preis nennen können.«
Chicas Augen weiteten sich. Sie schüttelte den Kopf und deutete auf die Schiefertafel vom Nachbarstand. Dann machte sie mit der rechten Hand eine Schreibbewegung.
»Willst du damit etwa sagen, dass du schreiben kannst?«
Die Verhüllte nickte.
In Francisca, die nicht einmal ihren eigenen Namen kritzeln konnte, regte sich leise Bewunderung. »Das hätte ich nicht gedacht. Doch so mag es gehen. Und nun:
adiós
. Bis zur Abendmahlzeit bin ich wieder daheim. Richte das Jaime aus, falls er vor mir da ist.«
Chica schlug zum Zeichen ihres Einverständnisses die Augen nieder.
Sie hatte lange blonde, ins Rötliche gehende Wimpern.
»Des Himmels Segen über Euch, edle Heilerin«, sagte Francisca, bescheiden in der Tür stehend. Sie blickte in eine Behausung, die so dunkel war, dass sie nahezu nichts erkennen konnte. Nur eine Feuerstelle in der Mitte des Raums spendete etwas Licht und erhellte zahllose Tiegel und Flaschen, die auf Regalen in den hinteren Ecken standen.
»Sag einfach Marou zu mir.« Wie eine Spinne im Netz saß die Heilerin neben dem Feuer. Ihre Gesichtszüge und ihre Gestalt lagen im Schatten. »Tritt näher, damit ich dich besser sehen kann. Meine Augen wollen nicht mehr so.«
Zaghaft machte Francisca einige Schritte nach vorn. Der Ort hatte etwas Unheimliches. Fast tat es ihr Leid, dass sie gekommen war.
»Ja, so sehe ich mehr von dir.«
Auch Francisca konnte ihr Gegenüber jetzt besser erkennen. Sie schluckte. Was sie sah, konnte sie kaum glauben. Noch nie hatte sie eine so unförmige, fette Frau erblickt. Eine Frau, deren Kopf runzlig wie eine Nuss und vergleichsweise winzig war, gleichsam ein Fremdkörper auf den Leibesmassen, die ein Eigenleben zu besitzen schienen und sich wabernd und wogend nach allen
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