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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Er hatte sich in den letzten Minuten zunehmend gelangweilt und wollte nun für Abwechslung sorgen. »Es gibt keine weiblichen Matrosen, und die wenigsten Männer sind jemals niedergekommen. Schon gar nicht auf See!« Er kicherte über seinen eigenen Witz.
    »Wie meint Ihr?« Banester verstand im ersten Augenblick nicht. Dann lachte auch er. »Männer, die auf See niederkommen! Abstruser Gedanke, hahaha!«
    Woodhall grinste mühsam.
    »Nun kommt schon, Woodhall!« Banester knuffte dem langen Mann in die Seite. »Das ist doch komisch, oder?«
    »Gewiss, Banester, gewiss. Doch würde auch ich noch gern ein paar Fragen stellen. Wisst Ihr, was eine
Spongia somnifera
ist, Herr Prüfling?«
    »Jawohl, Sir. Ein Schlafschwamm.«
    »So ist es.« Woodhall lebte auf. Die Kräuterkunde, und hier insbesondere die betäubenden und schmerzstillenden Mittel, war eines seiner Steckenpferde. Er wollte gerade zu einer eingehenden Befragung ansetzen, da klopfte es an der großen Flügeltür des Saals. Ein junger Bursche, der Kleidung nach ein Küchengehilfe, trat ein und verbeugte sich scheu in Richtung Banester:
    »Ich soll von der Köchin sagen, dass in Kürze ein Mittagsmahl bereitsteht, Sir.« Nach einer abermaligen Verbeugung verschwand er hastig.
    »Donnerwetter, schon so spät? Nun, ich muss gestehen, dass ich mich eines leisen Hungergefühls nicht ganz erwehren kann.« Der Hausherr strich sich über seinen ausladenden Leib. »Clowes und Woodhall, bitte folgt mir in mein Speisezimmer, ein herzhaftes Mahl wird uns gut tun.« Im Hinausgehen wandte er sich noch einmal dem Examinanden zu. »Vitus von Campodios, bitte entschuldigt uns, solange wir zu Tisch sind. Ich rate Euch, ebenfalls etwas zu essen, vielleicht in einem der Wirtshäuser hier in der Nähe. Dann habt Ihr die rechte Grundlage für den zweiten Teil des Examens. Seid so freundlich und findet Euch gegen drei Uhr am Nachmittag wieder hier ein.«
    »Jawohl, Sir, ich …« Der Prüfling verstummte, wollte noch etwas sagen, unterließ es dann aber. Stattdessen verbeugte er sich höflich. »Dann empfehle ich mich.«
    »Ja, tut das.« Banester war in Gedanken schon bei Pastete und Braten.
     
    »Du wirst den Hund nicht kämpfen lassen!«, befahl der kleine, drahtige Mann mit überraschend tiefer Stimme. In seinem Auftreten lag eine Sicherheit, wie sie bei Männern seiner Größe selten war.
    »Wer sagt das?« Der Angesprochene reckte sein Kinn. Er war ein grobschlächtiger Kerl mit dem roten Gesicht eines Säufers. Ein Schläger, mit dem man sich besser nicht anlegte, denn er hatte Fäuste, die aussahen, als könnten sie Eisen verbiegen. Die eine hielt einen Kampfhund, ein großes, stumpf dreinblickendes Tier, das ein kehliges Knurren vernehmen ließ. Die andere schoss jetzt vor und wollte den kleinen Mann packen, doch plötzlich trat ein weiterer, noch kleinerer Mann dazwischen:
    »Nich so rapid, Tierschächter! Willst gneißen, wer dir die Abkoche vermasselt? So will ich’s dir stecken: ’s is der berühmte Ramiro García, Magister der Rechte aus La Coruña im Spanischen – studiert, gelehrt und hochverehrt!«
    »Wa-was?« Dem Grobschlächtigen, der nicht gerade das Pulver erfunden hatte, fiel die Kinnlade herab. Der Winzling vor ihm war nicht nur zwergenklein, er hatte auch einen fassähnlichen Buckel. Dazu rötliche Haarbüschel auf dem Kopf, die in seltsamem Gegensatz zu seinem himmelblauen Rock standen. Der Mund, der so befremdliche, rotwelsche Worte formte, glich dem eines Fischleins.
    »Halt’s Maul!«, sagte der Grobschlächtige endlich, denn derlei pflegte er bei solchen Anlässen immer zu sagen.
    »Schränk die Labbe! Halt’s selber, Protzpup!«, fistelte das Fischmündchen zurück.
    Abermals fehlten dem Grobschlächtigen die Worte. Mit der Scheu, die viele Menschen angesichts verkrüppelter, verwachsener oder monströser Leiber befällt, trat er einen halben Schritt zurück. Der Winzling hüpfte vor, griff zum Halsband des Kampfhundes und nahm ihn beiseite. Zur Verblüffung der Neugierigen, die sich mittlerweile um die Streitenden geschart hatten, ließ der Hund sich dies wie selbstverständlich gefallen. Ja, man hatte sogar den Eindruck, dass er dem Zwerglein freudig folgte.
    »Mach Sitz!«, befahl der Bucklige, und wiederum staunten die Leute, denn der Hund gehorchte aufs Wort. Er setzte sich und gähnte gelangweilt, so, als ginge ihn das alles nichts mehr an. Dann beugte er den Kopf und leckte sich ausgiebig den Brust- und Bauchbereich, wo große, kaum

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