Der Chirurg von Campodios
Amulettsteine.
Und unter dem Tierkreismännchen, in der Mitte des Raums, saß eine schwarzhaarige Schöne in kirschrotem Kleid mit üppig gefälteltem Mühlsteinkragen. Vor ihr auf dem Tisch lagen Tarotkarten, die von einer Frau in mittleren Jahren ängstlich angestarrt wurden. »Madame Hoyelos«, sagte die Schöne gerade mit heller Stimme, »seht, wie ›das Rad des Lebens‹ steht zu ›den Liebenden‹, ›der Welt‹ und den, ähhh, anderen hohen Arkaden! Madame, Ihr seid schwanger,
c’est ça
!«
»Ach, wenn ich’s nur glauben könnte«, seufzte Francisca. »Meine Regel ist ausgeblieben, gewiss, aber erst ein einziges Mal. Die Heilige Mutter ist meine Zeugin: Ich wünsche mir nichts sehnlicher als ein Kind. Andererseits habe ich Angst, große Angst! Wenn nur das Fieber meinen Jaime nicht dahinrafft! Das Kind wäre ohne Vater. Ich mag gar nicht daran denken.«
»Ahhh, Madame, glaubt an die Zukunft! Euer Mann wird werden gesund, mit Gottes Hilfe. Ihr wollt, dass ich Chiromantie anwende zusätzlich?
Pas de problème!
Eure Hand,
s’il vous plaît
!«
Die Schöne ergriff die Rechte Franciscas und studierte sie eingehend. »Ahhh, Madame, nichts anderes ich kann feststellen! Eure Hand ist Abbildung von, ähhh, Kosmos,
n’est-ce pas? Ligne de vie, Soeur de la ligne de vie, Ceinture de Venus, Actions veneriennes, Ligne de Santé
… Alle Zeichen mir sagen, Ihr seid schwanger und Jaime wird gesund – wenn Gott will.«
Die schwarzhaarige Wahrsagerin gab Francisca ihre Hand zurück. Sie schien bisher nicht bemerkt zu haben, dass Vitus und seine Freunde den Raum betreten hatten – vielleicht deshalb, weil sie sich im Halbdunkel hielten. Jaimes Frau nestelte nach ein paar Münzen. Die Sitzung war beendet. Rasch erhob sich die Wahrsagerin und schob Francisca, die mit ihren Gedanken weit fort zu sein schien, aus dem Raum. Dann kehrte sie zurück und wandte sich direkt an Vitus.
»Bon soir
, Monsieur Vitus,
bon soir
, Freunde, ich finde es, ähhh, anständig von euch, dass ihr sehen wollt nach Jaime.«
Vitus war von der vertrauten Anrede überrascht. »Nanu, äh … Madam, Ihr kennt uns? Seid Ihr am Ende …«
»Bien sur
ich kenne euch. Willkommen im Escargot. Wir sollten ›du‹ sagen,
oui
?«
»Wui, wui, das tät mir schmerfen, Frau Achille!« Der Zwerg grinste, sprang vor und küsste der Schönen schmatzend die Hand.
Vitus und die Freunde brauchten etwas länger, um zu begreifen. »Ja, aber, Euer Aussehen, äh … Verzeihung, dein Aussehen …«
Achille machte eine wegwerfende Bewegung. »Mein Aussehen ist mal Mann, mal Frau,
compris
? Ich bin Zwitter, aber das klingt hässlich. Ich sage Hermaphrodit.« Seine Hände fuhren unter seinen Busen und hoben ihn an. »Ich habe Brüste wie eine Frau und …« Seine Rechte zeigte zwischen die Beine. »… einen, ähhh, Penis wie ein Mann. Ich habe Männerkleider und Frauenkleider. Ich bin ein Mann, wenn es ist besser, ein Mann zu sein, und ich bin eine Frau, wenn es ist besser, eine Frau zu sein. Meistens ich bin ein Mann, weil, ähhh, Habana ist eine Männerstadt,
compris
?«
Der Magister hatte sich gefangen. »Und im Augenblick bist du eine Frau. Warum?«
Achille lachte und zupfte am Mühlsteinkragen seines Kleids. »Du hast schon einmal einen, ähhh, männlichen Wahrsager gesehen?«
»Nein, habe ich nicht.«
»
Voilà
, dann weißt du, warum. Als Wahrsagerin ich nenne mich Arielle. Ich arbeite mit Tarotkarten, mit Handlesen und mit Pendel.«
»Und glaubst du an das, was du den Leuten sagst?«
»Ahhh,
mon ami
,k das ist eine Frage, du darfst nicht stellen einer Wahrsagerin! Ich glaube, was ich kann sehen – und fühlen. Doch jetzt kommt, ich zeige euch Jaime.«
Arielle wandte sich um und ging zu einer versteckten Nische, hinter der sich ein sauberes Lager befand. Jaime lag da, ruhig und friedlich. Er schien zu schlafen. Halbkreisförmig um seinen Kopf war eine Reihe blau leuchtender Edelsteine aufgestellt. Auf seiner Stirn lag ein lupenreiner Kristall.
»Erlaubst du, dass ich ihm den Puls fühle?«, fragte Vitus, die Steine mit einem verwunderten Blick streifend.
»
Bien sur, vas y.
Ich erlaube es.«
Jaimes Puls war schwach, aber regelmäßig.
Arielle sagte: »Er hat gehabt, ähhh, Schüttelfrost, ich mache heiße Wickel; er hat gehabt große Hitze, ich mache kalte Wickel. Louise hat gemacht Suppe in der Küche, aber er, ähhh, er nicht wollte essen.«
Vitus ließ das Handgelenk los. »Du sagtest vorhin zu Jaimes Frau, er würde wieder gesund,
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