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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Umstand, dass die Ketten etwas länger waren und ihnen mehr Spielraum ließen, fiel dabei kaum ins Gewicht. Man behandelte sie wie Vieh. Seit fünf Tagen waren sie hier und sollten, so Sanceurs Absicht, höchstens sieben weitere Tage in der Unterkunft verbleiben. Gerade so lange, bis sie so weit waren, um auf Habanas Sklavenmarkt angeboten werden zu können. Sanceur hätte die Zeit des Hochpäppelns liebend gern verkürzt, wie Vitus wusste, aber insgesamt zwölf Tage, um aus Halbtoten wieder halbwegs Gesunde zu machen, waren ohnehin viel zu wenig.
    Sein Blick fiel auf eine junge Schwarze, deren körperliche Verfassung erstaunlicherweise nicht die schlechteste war. Wie um diesen glücklichen Umstand auszugleichen, bedeckte ein hässliches Ekzem ihr gesamtes Gesicht. Es erinnerte ihn zum wiederholten Male an Louise, deren Lager er an diesem Morgen verlassen hatte. Die Magd war schon fort gewesen, als er sich erhob, und er hatte zu seinem Erstaunen festgestellt, dass er sie vermisste. Wie sie wohl aussah unter ihrem Gewand? Ein warmes Gefühl durchströmte ihn. Die Erinnerung an die vergangene Nacht kam so deutlich in ihm hoch, als würde er sie noch einmal erleben. Konnte man sich in einen Körper verlieben, ohne das Gesicht zu kennen? Fast glaubte er, es wäre so. Wie sollte er sich verhalten, wenn er sie wiedersah? Sollte er tun, als sei nichts gewesen? Oder sollte er mit ihr darüber sprechen? Warum nur hatte sie so schrecklich geweint? Er wusste keine Antwort auf alle diese Fragen und zwang seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Mittlerweile befand er sich vor der Tür zu Sanceurs Arbeitsraum und klopfte an.
    »Entrez!«
, erklang es von drinnen.
    Vitus trat ein. Der Raum war teuer, aber ohne Geschmack eingerichtet, was vielleicht daran lag, dass es keine Madame Sanceur gab. »
Bonjour
, Monsier Sanceur«, hob er an, denn er wusste, dass der Sklavenhändler gern französisch angesprochen wurde, »ich will Eure Zeit nicht lange beanspruchen …«
    »Oh, kein Problem, mein lieber Docteur,
bonjour
! Sagt, was Ihr zu sagen habt.« Sanceur, ein blasser, magerer Endvierziger, den es schon als Kind nach Habana verschlagen hatte, besaß einen schütteren Schneuzer, Tränensäcke und scharfe Gesichtsfalten, die auf ein Magenproblem hindeuteten. Ansonsten war seine Erscheinung unauffällig, ja, harmlos, gerade so, als könne er kein Wässerchen trüben. Doch dieser Eindruck täuschte. Er war einer der skrupellosesten und erfolgreichsten Sklavenhändler Westindiens.
    Vitus gegenüber gab sich Sanceur betont leutselig. Einerseits, weil die Zahlen vor ihm erfreulich aussahen, andererseits, weil er den Docteur, der nur für Gottes Lohn arbeitete, keinesfalls verlieren wollte.
    Vitus sprach weiter: »Danke, Monsieur, zunächst: Den Sklaven geht es den Umständen entsprechend gut, wenn man von ihrer allgemeinen Schwäche und den Hautleiden absieht. Keine verborgenen Krankheiten, wie etwa Hämorrhoiden, Analfisteln oder Mundfäule.«
    »
Voilà
, das höre ich gern. Allerdings darf ich behaupten, beim Kauf diesmal besonders scharf aufgepasst zu haben. Die Zeiten sind schlimm, mein lieber Docteur, man wird belogen und betrogen, wenn man sein Handwerk nicht versteht.« Sanceur wirkte sehr zufrieden.
    Vitus fragte sich, wie man den Sklavenhandel als Handwerk bezeichnen konnte, und beschloss, Sanceur einen Dämpfer aufzusetzen: »Leider muss ich hinzufügen, Monsieur, dass einige der Gefangenen Zähne verloren haben. Es gibt ein paar neue Lücken in den Gebissen. Ursache dafür ist der Scharbock, der auf langen Seereisen regelmäßig auftritt. Die ärztliche Kunst ist noch nicht so weit, dass sie sagen könnte, was den Scharbock auslöst, aber so viel steht fest: Er ist am besten durch regelmäßige und abwechslungsreiche Kost zu bekämpfen.«
    »Nun, und? Wollt Ihr damit sagen, Manolo würde nicht gut genug kochen? Wirtschaftet der Bursche am Ende in die eigene Tasche?« Sanceurs Miene verdüsterte sich. Die Käufer von Sklaven schauten immer als Erstes ins Gebiss. Fehlte der eine oder andere Zahn, war das kein guter Auftakt für die Preisverhandlungen. Anders war es mit dem After. Da hinein mochten die wenigsten schauen. Wollte der Interessent jedoch eine Jungfrau kaufen, wurde selbstverständlich auf das Genaueste nachgeforscht, am liebsten mit dem Mittelfinger … »Ich habe mir sowieso vorgenommen, mich von Manolo zu trennen. Er ist zu teuer für das, was er leistet.«
    »Monsieur, das liegt natürlich ganz in Eurem Ermessen.

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