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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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allen, die der Allmächtige wachsen lässt, hat er dich mit der hässlichsten geschlagen. Du leidest an der Gürtelrose.«
    »Gürtelrose?« Die Schankmagd versuchte zu lächeln. »Ich habe schon von dieser Krankheit gehört, aber noch nie sagte jemand, dass sie das Gesicht befällt.«
    Marou seufzte. »Die Gürtelrose ist tückisch, mein Kind, sie kann überall am Körper auftreten.«
    »Und? Kannst du mich heilen?«
    »Nur mit deiner Hilfe.«
    Louise sank auf die Knie und ergriff Marous Hände. »Ich will alles tun, was du sagst, alles! Sag mir, was ich tun soll!«
    »Gut. Erzähle mir als Erstes die Geschichte deiner Krankheit. Wann trat sie zum ersten Mal auf? Unter welchen Umständen? Und was hast du gegen sie unternommen?«
    Stockend begann die Schankmagd: »Nun … das erste Mal zeigte sich die Krankheit auf meiner Flucht von … ach, das tut nichts zur Sache … Jedenfalls auf meiner Flucht …«
    »Auf deiner Flucht von wo?«
    »Äh … von einer Insel. Ich floh übers Meer. Wollte nach Habana, um von dort ein Schiff in die Heimat zu nehmen.«
    »Nach England, nicht wahr?«
    »Ja, woher weißt du das?«
    Marou schwieg. Ihr Blick fiel auf die Reiterkluft der jungen Frau. Das Leder war reichlich abgeschabt, zerknittert und verfärbt, aber wer genau hinsah, bemerkte, dass es sich um eine teure Anfertigung handelte. Und wer noch genauer hinsah, entdeckte auf der linken Brustseite ein verblasstes Wappen. »Du bist Engländerin und von Adel, stimmt’s?«
    »Nun, ich …«
    »Hör mal, mein Kind!« Die Heilerin wurde energisch. »Eben noch hast du mir versichert, du würdest alles tun, um mir bei deiner Heilung zu helfen, und jetzt willst du mir nicht einmal die einfachsten Fragen beantworten. Bist stumm wie eine Auster! Wenn du mir nicht rückhaltlos alles aus deinem Leben erzählst, kann ich nichts für dich tun.« Sie griff zu einer riesigen Kruke und schenkte sich einen Becher Wasser ein. »Gar nichts.«
    »Es … es tut mir Leid. Es ist alles so furchtbar«, flüsterte Louise. »Ich habe alles falsch gemacht. Alles … Ich werde wohl niemals wieder glücklich werden. Selbst dann nicht, wenn ich die Krankheit besiege.«
    »Wie heißt er?«, fragte Marou knapp.
    »Das kann ich nicht sagen … das heißt, ich muss es wohl. Also gut, ich will dir erzählen, was sich zugetragen hat und wie alles gekommen ist.«
    Marou führte den Becher zum Mund. »Ich höre.«
    Geraume Zeit später, der Tag draußen ging schon in die Dämmerung über, beendete die Schankmagd ihren Bericht. Sie hatte während des Sprechens mehrfach mit den Tränen gekämpft, aber jedes Mal war es ihr gelungen, sie zu unterdrücken.
    Marou fuhr der Fremden, die nun keine Fremde mehr war, mit der Hand über das prachtvolle rote Haar. »Ich habe viel gesehen, während du erzähltest«, sagte sie, »und ich weiß jetzt alles.«
    Was genau sie wusste, würde sie ihrem Gegenüber nicht verraten, aber sie wusste mehr, als sie gehört hatte, denn kraft ganz bestimmter Namen und Konstellationen erschloss sich ihr der Blick in die Zukunft: So genau, wie sie die Schauplätze der Vergangenheit vor Augen hatte, so genau sah sie die künftigen Ereignisse. Und die waren nicht nur gut.
    »Ich weiß, ihr werdet euch wieder finden«, sagte sie.
    »Allmächtiger im Himmel, ist das dein Ernst?« Die junge Frau klatschte vor Glück in die Hände. »Wo? Wann? Sprich doch!«
    »Du wirst dich noch einige Zeit gedulden müssen, mein Kind, einen Monat vielleicht, oder auch zwei oder drei … länger wohl nicht.«
    »Allmächtiger! Aber wo, um alles in der Welt?«
    »Wie der Ort heißt, weiß ich nicht, denn ich vermag nur Gesichter und geformte Materie zu sehen. Ich sehe Wasser, Holz und Eisen, du steigst nach oben, strauchelst … ja, strauchelst … doch du fällst nicht … Das wird der Moment sein, in dem ihr euch findet!«
    Die junge Frau schloss die Augen und lächelte strahlend.
    Marou fand, dass es ein Lächeln war, bei dem die Sonne aufging. Sie griff, ohne sich umzublicken, mit ihrer feisten Hand nach hinten, kramte in einem Regal und holte endlich einen Glashafen mit weißlichem Puder hervor. »Dieser Puder riecht nicht gut, aber er wird deinen brennenden Schmerz lindern. So lange, bis deine Rose vollends verdorrt ist.«
    »Danke, Marou! Danke!« Die junge Frau nahm das Gefäß und beugte sich herab, um die Heilerin zu küssen. Doch kurz bevor ihre Lippen Marous Runzeln berührten, schien sie es sich anders zu überlegen. Sie hielt inne.
    »Küss

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