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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Glück, Manolo dürfte nicht ernsthaft verletzt sein. Allerdings wird er für eine Weile schlafen.« Vitus nestelte die Schlüssel unter Manolos Körper hervor. »Einer davon muss passen. Komm, Magister, versuchen wir’s.«
    In Windeseile sperrten sie die Kettenschlösser auf, flüsterten auf die mittlerweile erwachten Sklaven ein und versuchten unter vielerlei Radebrechen, ihnen zu erklären, was sie vorhatten. Es war eine gespenstische Situation: die stockdunkle Nacht, die schreckgeweiteten weißen Augen der Sklaven, das ängstliche Gemurmel, das Zusammenrücken der Körper, der Geruch nach Angstschweiß. Vitus beschwor die Gefangenen: »Vertraut uns! Ihr müsst es wagen!«
    Einer von ihnen, es war ein älterer Mann, sprach ein paar Brocken Spanisch; vielleicht hatte er die Worte auf einem Guineaman aufgeschnappt. »Was sein ›wagen‹?«, fragte er.
    »Wagen heißt Mut haben. Entschlossen sein. Kämpfen, verstehst du!«
    Der Alte verstand nicht.
    Schließlich schob der Zwerg sich vor und fistelte: »Die Lauscher auf, Schwarzmann! ›Wagen‹ heißt Freiheit, kannste das holmen? Freiheit!
Freedom! Libertad!
«
    »Ah,
libertad, sí, sí. Libertad
«, antwortete der Alte. »Verstehen.« Er wirkte plötzlich entschlossen und sprach auf seine Leidensgefährten ein. Die Freunde sahen, wie ein Ruck durch ihre Körper ging. Das Wort Freiheit weckte ungeahnte Kräfte.
    Vitus befahl: »Magister, Enano, Hewitt, ihr lauft mit den Schwarzen zum Anleger 2. Seht zu, dass alle mitkommen, auch Kamba. Notfalls muss er getragen werden. Der Himmel gebe, dass O’Tuft schon mit seiner Pinasse eingetroffen ist. Wenn nicht, versteckt euch in einem der Lagerschuppen. Spätestens morgen früh muss er da sein, oder alles war umsonst.«
    Der kleine Gelehrte blinzelte durch seine Berylle. »Nanu, das klingt, als wolltest du uns nicht begleiten? Gefällt es dem hochwohlgeborenen Herrn nicht mehr in unserer Gesellschaft?«
    »Lass den Unsinn. Ich will mich noch ein wenig umsehen, vielleicht sind neue Schwarze eingetroffen, ohne dass wir es bemerkt haben.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht.«
    »Außerdem hat Sanceur vorhin den Gast versehentlich als Piraten bezeichnet. Ich will wissen, was das für ein Mensch ist.« Vitus wurde energisch: »Und nun ab mit euch, ich komme später nach! Und lasst euch nicht erwischen!«
    Wenige Augenblicke später hatte die Dunkelheit Schwarze und Weiße verschluckt, und Vitus befand sich allein mit Manolo in dem Bretterverschlag. Der Aufseher lag noch immer bewusstlos zu seinen Füßen. Vitus hoffte, er würde noch eine Weile weiterschlafen, und schlich sich hinaus, vorbei an der windschiefen Wand und hinüber zum Steinhaus, wo er unter einem der Rundbogenfenster Halt machte. Er duckte sich hinter einem der prächtigen Rosenbüsche und verwünschte die Dornen, die sich von überall her in seine Kleidung bohrten. Auch Haffs guter Degen erwies sich als sperrig. Gesprächsfetzen drangen aus dem offenen Fenster zu ihm herab. Es war Spanisch, was dort gesprochen wurde, so viel stand fest, aber er hatte große Mühe, ganze Sätze zu verstehen.
    »Ihr habt … keine Ware … Preise sowieso gefallen …«
    »Ware? Haha! … Ware, ja! … Habana … Vorsicht, Schlangengrube …«
    Die erste Stimme war offenbar die von Sanceur. Vitus hatte sie schon so oft gehört, dass ein Irrtum ausgeschlossen war. Die Stimme des Sklavenhändlers war außerdem lauter als die seines Gastes, wahrscheinlich, weil er näher am Fenster saß. In jedem Fall schien es so, als habe der Fremde keine Sklaven dabei. Was der Unbekannte wohl mit »Schlangengrube« meinte? Vielleicht, dass Habana ein gefährliches Pflaster war? Gefährlich für Piraten?
    Erneut spitzte Vitus die Ohren. Er wagte es und richtete sich zu voller Höhe auf. Jetzt war auch die zweite Stimme besser zu verstehen: »… nur den Sklavenfahrer gekapert … Taggart gestört … Scheißkerl, Rechnung offen …«
    Bei allen Heiligen! Hatte er richtig gehört? War da der Name Taggart gefallen? Und wenn ja, konnte es sich um den berühmten Sir Hippolyte Taggart handeln? Jenen Mann, dem Ihre Majestät Königin Elisabeth I. höchstpersönlich einen Kaperbrief ausgestellt hatte? Taggart! Wenn der alte Bärbeiß tatsächlich in der Nähe kreuzte, würde die eine oder andere Schatzgaleone nichts zu lachen haben! In Vitus’ Kopf schwirrten die Gedanken. Es war ein angenehmes Gefühl, Taggart in der Nähe zu wissen, auch wenn er, Vitus, ihn sicher nicht auf seiner

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