Der Chirurg von Campodios
was den Insassen mit ihren schwärenden Wunden, den juckenden Flechten und beißenden Ekzemen etwas Linderung verschaffte.
Vitus stand inmitten dieser armen Seelen, vor sich einen am Boden hockenden, angeketteten Jüngling, und rief dem Magister zu: »Der Junge hier dürfte keine achtzehn sein, aber er sieht aus wie ein alter Mann. Ich weiß nicht, von wem Sanceur ihn gekauft hat, aber fest steht, dass er furchtbar unter der Schiffspassage gelitten hat. Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt!«
Der kleine Gelehrte nickte und blinzelte. »Wenn ich so etwas sehe, wünschte ich fast, ich hätte keine neuen Berylle.« Genau genommen waren es keine Berylle, die er trug, sondern einfache Glaslinsen, und noch genauer betrachtet war nur die eine der beiden, die rechte, funktionstüchtig. Für das linke Auge hatte sich keine Linse in passender Stärke gefunden.
»Wui, wui, so isses«, bestätigte der Zwerg, der zusammen mit Hewitt neben dem Magister stand. Sie hatten mehrere flache Bottiche mit saurer Molke zwischen den Kranken abgestellt und halfen ihnen, ihre von Hautkrankheiten befallenen Gliedmaßen mit der Flüssigkeit zu benetzen.
Der schwarze Jüngling, der genau merkte, dass über ihn gesprochen wurde, blickte mit blutunterlaufenen Augen auf. Er hatte am ganzen Körper Hämatome. Vitus nickte ihm beruhigend zu und fuhr dann fort: »Ich werde mit Sanceur sprechen, sobald wir hier fertig sind. Wir brauchen noch mehr Molke und weitere Medikamente. Gott sei Dank liegt dem Menschenhändler eine Menge daran, dass seine ›Ware‹ sich zum Verkaufszeitpunkt in gutem Zustand befindet.«
»Wie immer decken sich unsere Meinungen.« Der kleine Gelehrte nickte grimmig. »Fragt sich nur, ob Sanceurs ›Ware‹ zum gegebenen Zeitpunkt noch da ist.«
»Pssst, nicht so laut, du Unkraut! Es muss nicht jeder gleich wissen, was wir vorhaben.« Vitus wandte sich wieder dem Jüngling zu. »Hast du Durchfall?«
Der Schwarze verstand nicht.
»Ob du Durchfall oder die Ruhr hast, mein Freund.«
Noch immer verstand der Jüngling nicht, und selbst als Vitus die Frage mehrfach wiederholte, zeigte seine Miene keinerlei Erleuchtung.
Kurz entschlossen ließ der kleine Gelehrte Hewitt und den Zwerg allein weitermachen und trat heran. »Das haben wir gleich, pass auf.« Er streckte die Zunge heraus und blies Luft hervor, woraufhin ein blubbernder Laut entstand, der verblüffend echt die Auswirkung der Krankheit beschrieb. Gleichzeitig deutete er auf das Gesäß des Schwarzen. »Na?«
Trotz seines schlechten Allgemeinzustands musste der Gefangene grinsen. Er schüttelte den Kopf.
Der Zwerg krähte herüber: »Keine Flitzmarie? Knäbbig, knäbbig, Schwarzmann!«
Vitus war erleichtert. »Gott sei gelobt! Unser einziges Medikament gegen derlei Übel geht ohnehin zur Neige, und Blutwurz ist in Habanas Pharmacien kaum zu haben. Das Gleiche gilt für weißen Lehm zum Binden der Giftstoffe im Darm. Lediglich pulverisierte Kohle wird angeboten, aber ob die hiesige so gut ist wie die englische, steht dahin. Magister, wo du schon mal da bist, sei so gut und gib mir den Spatel aus meiner Tasche, ich will sehen, wie viele Zähne der Junge verloren hat.«
Vitus bedeutete dem Schwarzen, den Mund aufzumachen, und drückte mit dem Instrument die Wangen auseinander. »Ein Jammer um das prachtvolle Gebiss. Er hat drei Backenzähne und einen Schneidezahn eingebüßt. Das Zahnfleisch ähnelt eher Gummiarabikum als gesundem Gewebe. Ich hoffe, dass Sanceur seiner Gewohnheit treu bleibt und den Gefangenen weiterhin abwechslungsreiche Speise zukommen lässt.«
»Dein Wort in des Allmächtigen Ohr! Was ich vorhin gesehen habe, war ganz ordentlich – jedenfalls nicht schlechter als das, was wir damals im Kerker bekommen haben. Die Suppe enthielt sogar ein paar Fetzen Fleisch. Ist aber auch bitter notwendig, wenn ich mir den Jungen so ansehe. Er ist ja nur noch ein von Haut ummanteltes Skelett. Warum Sanceur ausgerechnet ihn erworben hat, mag der Bocksbeinige wissen. Wie heißt er überhaupt?«
»Ich glaube, Kamba. Bist du Kamba?« Vitus tippte dem Gefangenen mit dem Finger auf die Brust.
Der nickte scheu.
»Gut. Am besten, ich gehe jetzt schon zu Sanceur. Er sitzt zwar über seinen Büchern, aber Pater Thomas sagte immer: ›Was du tust, das tue gleich‹, und ich denke, er hatte Recht.«
Vitus bahnte sich seinen Weg durch die Reihen der Schwarzen. Sie waren hier, genau wie auf dem Guineaman, der sie nach Habana gebracht hatte, am Boden angekettet. Der
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