Der Chirurg von Campodios
schließlich hatte die
Torment
leicht übergeneigt Fahrt aufgenommen.
»Die Aussicht, schon bald auf einer Insel im Sonnenschein zu sitzen, ist auch nicht schlecht«, sagte Vitus.
»Du sagst es. Ich habe Hunger. Leider sind Ratten alles andere als genießbar. Wenn’s nicht so wär, hätten wir keine Sorge, sie kommen in Unmengen hier unten vor.« Der Magister blinzelte. »Ich glaube, auf dem Gang sind schon wieder ein paar. Sieh nur, die dunklen Schatten.«
Ein Kichern ertönte.
»Was war das?« Der kleine Gelehrte richtete sich auf. »Ratten kichern nicht.«
»Wui, wui, Knagerlinge kichern nich«, erklang das Fistelstimmchen des Zwergs. »Was fetzt ihr denn hier?«
»Beim Blute Christi! Der Zwerg! Du bist es doch, Enano? Wie kommst du hierher?«
»Schäl den Mondschein, Magister, ’s is ’ne lange Geschicht.«
»Mensch, Enano!« Vitus tastete durch das Gitter, zog den kleinen, buckligen Körper zu sich heran und umarmte ihn, so gut es ging. »Es tut wohl, dass du da bist! Wie ich dich kenne, bist du heimlich an Bord gekommen, und niemand weiß, dass es dich gibt.«
»Wui, wui, Vitus, so isses. Nur Hewitt gneißt es. Is auch allhier, der Gack. Spielt Matrose.«
»Das haben wir schon gehört. Wir verdanken ihm unser Leben. Er hat es so gedeichselt, dass Jawy glaubt, er könnte ein Lösegeld für uns erhalten. Ansonsten würden wir wohl schon an der Rah hängen.«
»Lösegeld?« Abermals kicherte der Winzling. »Wer hätt’s getickt? Hier, hab euch was zum Picken gekeckelt. Backling un Schwärmer, Brot un Käse, wenn ihr das besser begneißt.«
»Danke, Enano, du bist ein wahrer Freund.«
»Blausinn! Macht nich so große Worte nich. Hier is noch ’n Ohrhansel Gänsewein.« Er schob einen Krug mit Wasser durch die Stäbe. »Un hier, damit ihr was spähen könnt.«
Es folgten eine Kerze, dazu Stahl und Stein, um sie zu entzünden.
Der Magister schlug Feuer, und alsbald erstrahlte die Zelle in warmem Licht. »Ich bin überwältigt. Eben noch allein, hungrig, in stockdunkler Nacht. Und jetzt: Nahrung, Licht und ein guter Freund. Enano, das vergessen wir dir nie.« Er schlug die Zähne in einen Kanten Brot, wollte noch etwas sagen und verschluckte sich.
»Mit mollen Käuern tarrst nich leiern«, grinste der Kleine. »Manschare, manschare, eh’s die Knagerlinge keckeln. Ich verblühe, bin am Zefir zurück, un dann gibt’s mehr.«
»Warte, Enano, warte«, rief Vitus hinterher. »Wo willst du denn so schnell hin?«
»Frag ihn nicht, iss lieber.« Der Magister kaute mit vollen Backen. »Wie ich ihn kenne, erforscht er erst einmal das ganze Schiff. Und dann wird er wahrscheinlich im großen Beiboot übernachten. Weißt du noch, auf der
Cargada
de
Esperanza
hat er es auch so gehalten.«
»Ja, ich weiß. Als er damals plötzlich an Deck auftauchte, war die Überraschung genauso groß wie heute.«
»Er ist ein kleiner, rothaariger Phoenix, der immer aus irgendeiner Asche steigt. Scheinbar unverwüstlich. Und ein treuer Freund dazu, auch wenn er ein paar Seiten hat, die ich nie verstehen werde. Wahrscheinlich hängt das mit seiner schweren Kindheit zusammen. Eins ist jedenfalls klar, solange er unentdeckt bleibt, müssen wir nicht verhungern.«
»Stimmt, Magister, gib mir mal den Käse … hm, delikat, delikat! Nicht ganz so gut wie Achilles original
Foume d’Ambert
, aber immerhin. Lass uns nach dem Essen die Kerze löschen, es ist besser, wenn wir sparsam mit ihr umgehen.«
»Jawohl, großer Cirurgicus.«
Die
Torment of Hell
kreuzte unter südlichen Winden rund hundert Meilen östlich von Habana. Sie war nicht allein, sondern in Begleitung des Guineaman, denn ein Schiff spanischer Bauart, so Jawys Überlegung, mochte bei der Annäherung an die erwarteten Schatzgaleonen unverfänglicher wirken.
Die Entscheidung, den Sklavenfahrer mit auf Beutezug zu nehmen, war dem Piratenanführer nicht leicht gefallen, denn ihm fehlten an allen Ecken und Enden Männer, dies nicht zuletzt, weil er beim jüngsten Gefecht viele seiner besten Kämpfer verloren hatte. Es war eine Auseinandersetzung mit der
Falcon
unter Hippolyte Taggart gewesen, jenem schrulligen Alten, der sich just in dem Augenblick eingemischt hatte, als Jawy dabei gewesen war, die Besatzung des Guineamans bis auf den letzten Mann zu töten. Dabei war Taggart selber Korsar, nur mit dem Unterschied, dass er von Ihrer Majestät Elisabeth I. einen Kaperbrief bekommen hatte, der es ihm erlaubte, sozusagen mit königlicher Billigung zu plündern und
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