Der Chirurg von Campodios
alte Schifferweisheit sagte: Im Mai kaum, im Juni und Juli selten, doch im August, September, Oktober, da wird es grausam! Ein Hurrikan war das Schlimmste, was einer Armada widerfahren konnte, denn die schweren, bis ans Schanzkleid voll geladenen Segler taumelten nur so in den Gewalten der Orkanböen, waren ein Spielball der Brecher, konnten kaum kreuzen und liefen allzu oft auf die Riffe vor Floridas Küsten – wenn sie nicht schon vorher mit Mann und Maus untergegangen waren.
Doch von alledem war an diesem Abend nichts zu spüren. Die Männer schwitzten wie Pferde, schütteten Wein in sich hinein und waren gereizter Stimmung. Tipper war der Einzige, der zufrieden wirkte, denn er hatte von einem seiner Spießgesellen, einem zahnlosen Burschen mit Augenbinde, eine Seekiste gewonnen. »Mach dir nichts draus, Fletcher, gegen mein Glück is kein Kraut nich gewachsen.« Tipper rieb sich seinen struppigen, weinbefleckten Bart und kippte einen weiteren Becher. Er war derjenige, der am meisten vertragen konnte.
»Halt’s Maul.« Fletcher, der wie alle anderen nur eine knielange Hose trug, lüftete eine Gesäßbacke und furzte. »Ich weiß, dass du uns alle bescheißt, ich weiß nur nich, wie.«
»Aber, aber! Will tot umfalln, wenn’s so wär. Hab noch nie nich einen beschissen.«
»Leck mich.« Fletcher schickte sich an, erneut einen Wind fahren zu lassen, wurde von Hewitt aber daran gehindert:
»Was regst du dich so auf, Fletcher? Du tust gerade so, als wäre die Seekiste eine Schatzkiste.«
»Nee, isse nich.« Fletcher, der sich nur ungern von seinem Vorhaben hatte abbringen lassen, setzte sich halb auf. »Hab die Kiste von Tart, der neulich krepiert is.«
»Tart?«
»Ja, Tart, der mit der roten Narbe inner Fresse. Is am Fieber krepiert, wie’n paar andere auch. Weiß nich genau, was inner Kiste drin is, ’n oller Korb und ’n oller Koffer oder so. Un Piekse-Instrumente. Nich viel wert, aber immer noch genuch, dass man’s nich gern hergibt, wenn man beschissen wird.«
»Ach so, na, das hört sich an, als wär’s wirklich nichts.« Hewitt musste sich zusammennehmen, um sich nichts anmerken zu lassen. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann war dieser Fletcher, das heißt, jetzt war es ja Tipper, im Besitz von Vitus’ Habe! Hewitt gähnte bewusst gelangweilt und sagte: »Eigentlich sollte ich mich jetzt hinhaun, habe nachher die Mitternachtswache, aber was soll’s, ich spiel mit dir um die Kiste, Tipper.«
Tipper, der gerade einen weiteren Becher Wein leeren wollte, wunderte sich. »Was, du? Du spielst doch sonst nich?«
»Irgendwann ist immer das erste Mal.«
»Hm, und worum spielst du, denk bloß nich, ich wär dämlich un ich spiel mit dir, wo du noch nich mal ’n Einsatz hast.«
»Ich spiele um meine Weinration.«
»Hm. Die von heute? Die hast du doch schon wech!«
»Ich spiele um meine ganze Weinration der kommenden Woche.«
»Das is was anderes. Gut. Geht los. Männer, gebt mir mal die Würfel, will dem Grünschnabel zeigen, was’n paar gekonnte Würfe sin.«
Kurz darauf hatte er die Kiste verloren.
Zwei Kerzen, ein Strohsack, Decken, ein Fässchen Wasser, eine Schüssel mit Pökelfleisch, ein Laib Brot, etwas Käse, zwei leidlich saubere Hemden und einiges mehr – alles das lag ausgebreitet vor Vitus und dem Magister. Es waren Gaben, die der Zwerg und Hewitt angeschleppt hatten, mühsam organisierte Dinge, die den Eingekerkerten das Leben erleichtern sollten.
»Ich bin überwältigt.« Der kleine Gelehrte schnäuzte sich geräuschvoll. »Komme mir vor wie im Schlaraffenland.«
»Mir fehlen die Worte«, staunte auch Vitus.
»Wui, wui, sollst nich sabbeln, sollst schnabbeln.« Der Winzling hielt ein Stück Pökelfleisch hoch. »Hier, grabsch den Pork.«
»Danke, Enano.« Vitus biss ein Stück ab und gab das Fleisch an den Magister weiter.
Hewitt meinte: »Das eine Hemd ist ziemlich groß, Vitus, vielleicht lässt sich ein Streifen davon abreißen, als Verband für deine Schulter.«
»Ihr habt an alles gedacht«, lächelte Vitus. »Die Wunde ist schon geschlossen, aber ein neuer Verband wird sicher nicht schaden.«
»Schon gar nicht, wenn ich ihn dir anlege. Allerdings erst, nachdem ich gegessen habe!«, ergänzte der Magister. Der kleine Mann war schon dabei, den Käse zu probieren. »Diese Sorte mundet anders als die, die du gestern brachtest, Enano, feiner und irgendwie besser.«
»Wui, wui, ’s is Schwärmer von Jawy, er is der edle Spender, er gneißt’s bloß nich.« Der
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