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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Jüngling, den er einst ins Meer hatte werfen lassen. Der Bursche hatte sich rausgemacht, zweifellos, er hatte zwar kein Jota Fett auf den Rippen, und insofern unterschied er sich in nichts von seiner damaligen Erscheinung, aber er war breiter in den Schultern geworden, sehr viel breiter. Und in seinem Gesicht lag ein ruhiges Selbstbewusstsein, das er früher auch nicht gehabt hatte. Die Arbeit als Fischer vor Habanas Küsten schien ihm gut bekommen zu sein. Jawy hatte eine Idee: »Blubber hat mir erzählt, du wärst unter die Fischer in Habana gegangen, stimmt das?«
    »Ja«, log Hewitt, der Zuverlässige.
    »Wie viele Tage ist es her, dass du schiffbrüchig wurdest?«
    »Genau weiß ich es nicht, denn ich war ohnmächtig, als ich an Land getrieben wurde.« Hewitt war auf der Hut. »Vielleicht ein paar Tage.«
    »Ein paar Tage«, wiederholte der Pirat. »Mich würde interessieren, ob die Schatzgaleonen schon nach der Bahía de Matanzas unterwegs sind. Hast du sie von Habana aus in See stechen sehen?«
    »Nein, Jawy«, antwortete Hewitt wahrheitsgemäß.
    »Dann werden wir weiter hier kreuzen.« Im Kopf des Anführers arbeitete es. »Wenn’s aber länger dauert, setze ich die beiden Geiseln auf Elbow Cay ab, vielleicht auch auf einem der anderen kleinen Cays, jedenfalls dort, wo sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag niemand findet.«
    »Wenn ich du wäre«, sagte Hewitt, »würde ich die beiden arbeiten lassen; in der Zelle sind sie doch zu nichts nütze.«
    »Was sagst du? Einen Lord und einen Gelehrten arbeiten lassen?« Jawy schob den Unterkiefer vor. »Das ist ein hübscher Gedanke! Aber nein, daraus wird nichts. Der kleine Klugscheißer, der Bücherwurm, ist sicher harmlos, was man allein schon an seiner großen Klappe merkt, aber der Blonde, der könnte gefährlich werden.« Jawy dachte an Vitus’ Fechtkunst, der er so schmerzhafte Wunden verdankte. »Nein, die Geiseln bleiben, wo sie sind.«
    Hewitt schluckte. Dann gab er sich einen Ruck. »Vielleicht solltest du sie trotzdem hin und wieder an Deck lassen. Da unten werden sie doch nur von den Ratten zerfressen, und für Halbtote kriegt man kein Lösegeld.«
    Jawys Augen verengten sich. »Sag mal, Mister Neunmalklug, was liegt dir eigentlich an den Klugscheißern da unten? Tust gerade so, als wärst du mit ihnen verwandt?«
    Hewitt musste alle Kraft zusammennehmen, um Jawys Blick furchtlos erwidern zu können. »Du weißt so gut wie ich, dass ich ein armes Schwein bin, und das wird sich wohl auch niemals ändern. Arm geboren, arm gestorben, sagt man bei uns zu Hause. Es sei denn, du gibst mir eine neue Chance.«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Ganz einfach, wenn ich wieder zu euch gehöre, habe ich meinen Anteil an der Beute wie jeder andere auch. Und wenn du für die beiden, äh … Klugscheißer da unten Lösegeld kriegst, habe ich auch etwas davon. Insofern liegt mir eine Menge daran, dass sie nicht verrecken.«
    Jawy stieß einen Pfiff aus, und in seiner Stimme schwang so etwas wie Bewunderung mit. »Du hast dich ganz schön gemausert, Hewitt. Denkst weiter, als ein Schwein scheißen kann, was für die wenigsten hier an Bord gilt.« Ein verächtlicher Blick streifte Jim und Tom, die während der Unterhaltung ängstlich weitergearbeitet hatten. »Von mir aus kannst du wieder anheuern. Kriegst den üblichen Anteil.«
    »Danke, Jawy.«
    »Schon gut. Ich gehe jetzt und haue mich aufs Ohr. Hol Tipper rauf. Er soll weiterkreuzen wie bisher und scharf Ausschau nach den Schatzgaleonen halten lassen. Wenn ich einen erwische, der pennt, röste ich ihm persönlich die Eier. Alles klar?«
    »Alles klar, Jawy.«
    Wenige Augenblicke später war der Piratenanführer verschwunden.
     
    Tipper, Blubber und einige andere lagen im Mannschaftslogis unter dem Backsdeck und würfelten. Es war Abend. Der Tag war glühend heiß gewesen, viel zu heiß für einen Tag Mitte Mai. Stunde um Stunde hatte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel herabgebrannt, und der Wind war häufig genug nur als Lüftchen über die
Torment
hinweggeweht. Jawy hatte, immer auf der Suche nach den Schatzgaleonen, unermüdlich kreuzen lassen, denn täglich, ja stündlich musste mit der Armada gerechnet werden, jenem Schiffsverband, der sich aus Fracht- und Kriegsgaleonen zusammensetzte und der so groß war, dass immer ein paar Segler den Anschluss verloren. Solche Einzelfahrer waren ein gefundenes Fressen für Männer wie Jawy.
    Wenn die ersehnten Schiffe nicht bald kamen, drohten die ersten Hurrikans. Eine

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