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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Säckchen, in dem womöglich Edelsteine aufbewahrt wurden. Das war schon alles. Von Vitus’ Habseligkeiten keine Spur.
    Der kleine Gelehrte nahm einige Münzen auf. »Wenn deine Sachen schon nicht drin sind, sollten wir wenigstens von dem Gold nehmen. Sozusagen als Entschädigung für den Verlust und den entgangenen Gewinn.«
    »Lass, Magister, ich will mich erst noch umsehen.«
    »Ja«, antwortete eine Stimme, »sieh dich mal um!«
    Es war eine Stimme, von der Vitus wusste, dass sie nicht dem Magister gehörte, und der Magister wusste, dass sie nicht Vitus gehörte.
    Es war die Stimme von Jawy.
    Vitus fuhr herum, in Erwartung des verhassten Gesichts. Doch was er sah, waren Sterne, grell aufblitzende Sterne, und auch die sah er nur für den Bruchteil eines Augenblicks.
    Dann sah er gar nichts mehr.
     
    Eine Ratte huschte heran, erhob sich auf die Hinterbeine und nahm Witterung auf. Es roch anders in ihrer Umgebung, nicht nur nach Holz, Schimmel, Teer und Fäulnis wie gewöhnlich, sondern – nach Mensch. Sie fiel auf ihre vier Beine zurück, huschte weiter, lugte um eine Ecke und sah, dass ihr Geruchssinn sie nicht getrogen hatte. Zwei Menschen lagen da.
    Vorsichtig trippelte sie voran, beschnupperte die Gesichter, die Kleider, das Schuhwerk, kletterte dann auf den Leib des einen Menschen, verhielt dort kurz, sicherte erneut und kroch dann rasch in eine Falte des Hemdes, in der sich ein kleines Stück Hartbrot verfangen hatte. Possierlich nahm sie es mit ihren Vorderpfoten auf und begann daran zu nagen.
    Doch kaum hatte sie mit der Nahrungsaufnahme begonnen, kam eine Hand und scheuchte sie auf. Erschreckt huschte sie davon, die Beute noch in der spitzen Schnauze.
    »Was war das?«, fragte der Magister. Er rieb sich die Augen und stellte fest, dass er nichts sehen konnte. Was, wie er weiterhin bemerkte, nicht daran lag, dass seine Berylle fort waren, sondern daran, dass seine Umgebung so dunkel war. Außerdem brummte ihm gehörig der Schädel.
    »Beim Blute Christi!«, stöhnte er. Langsam kam ihm die Erinnerung wieder. Jawy! Der Hundsfott hatte Vitus und ihn niedergeschlagen! Seine Hand tastete zur Seite und erfühlte Stoff. »Vitus? Vitus, bist du das?« Es raschelte. Dann hörte der kleine Gelehrte ein Stöhnen:
    »Oh, Allmächtiger! Wo bin ich?«
    »
Deo gratias!
Du lebst! Wo wir sind, weiß ich auch nicht genau, altes Unkraut, aber den Geräuschen nach zu urteilen ganz unten im Leib der
Torment
und …«, der Magister unterbrach sich, »Pest und Aussatz! Man hat uns hinter Gitter gesperrt! Ich fühle runde Eisenstäbe … stabile Eisenstäbe. Wird nicht leicht sein, von hier zu flüchten.«
    »Ich muss erst einmal zu mir kommen.« Vorsichtig richtete Vitus sich auf, was Wellen des Schmerzes in seinem Kopf auslöste. Er betastete die Stelle und erfühlte eine gewaltige Beule. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das schwache Licht. Sie befanden sich in einer Art Kammer, die zu Zeiten, als die
Torment
noch
Vigilance
geheißen hatte, als Arrestzelle gedient haben mochte. Die Grundfläche maß höchstens zwei mal zwei Schritte im Geviert, der Boden war schmutzig und glitschig. Vitus zog die Nase hoch. Es stank Ekel erregend. Seine Augen bemerkten huschende Schatten auf dem Gang vor der Zelle. »Jetzt weiß ich auch, was hier so stinkt«, sagte er. »Es ist Rattenkot.«
    »Brrr.« Der kleine Gelehrte schüttelte sich. »Auch das noch. Aber wahrscheinlich hast du wie immer Recht. Ich glaube, vorhin ist eine über mich rübergelaufen. Ekliger Gedanke! Na, auch darüber werden wir hinwegkommen. Denk nur an die Fliegen im Kerker der Inquisition. Es waren Hunderte, wenn nicht Tausende! Was sind dagegen schon ein paar Ratten.«
    Trotz der misslichen Lage musste Vitus lächeln. Der kleine, tapfere Mann! Vitus wusste, dass er die Nager verabscheute, und trotzdem gab er sich jetzt so, als mache ihr Vorhandensein ihm nichts aus. »Ich frage mich, woher Jawy so plötzlich kam«, überlegte er, »und warum er uns nicht getötet hat.«
    »Töten kann er uns immer noch.«
    »Sicher, aber was hat er vorher mit uns im Sinn?«
    »Keine Ahnung. Er wird’s uns schon rechtzeitig wissen lassen.« Der kleine Gelehrte hatte sich ebenfalls aufgesetzt. »Ich habe Hunger.«
    »Du hast Sorgen. Ich möchte wissen, wie lange wir schon hier unten sind.«
    »Ich finde, mein Hungergefühl ist wichtiger als die Frage, wie lange wir hier schon schmoren. Essen ist ein Grundbedürfnis und … warte mal, ich höre Schritte. Vielleicht

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