Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
auch sie ungern von Vitus und den Seinen Abschied nahmen. Die Freunde hatten bereits in einer geschlossenen Kutsche Platz genommen, und Jack, der Fahrer, knallte ungeduldig mit der Peitsche.
    »He, Jack, du fährst los, wenn ich’s dir sage, und keinen Deut früher«, herrschte Polly den Mann auf dem Bock an.
    Jack kam aus der Nachbarschaft, galt als zuverlässig und hatte sich erboten, die Freunde zu einem anständigen Preis nach Greenvale Castle zu kutschieren. »Mach nich so’n Wind, Polly«, antwortete er, aber er sagte es so leise, dass niemand es hörte. Sein Repekt vor der Wirtin war groß.
    Polly stellte sich auf die Zehenspitzen und reichte das Päckchen in den Wagen hinein. »Hier, Arlette, das ist für Euch, damit Ihr mich nicht vergesst.«
    »Oh, danke, liebe Polly! Was ist denn darin?«
    »Wird nicht verraten. Ihr dürft es erst am Sonntag öffnen, am Geburtstag der Königin.«
    Arlette, die Geschenke über alles liebte, machte ein enttäuschtes Gesicht. »Aber das sind ja noch vier Tage. Ich weiß nicht, ob ich es so lange aushalten kann.«
    Polly lachte. »Ihr könnt es bestimmt. Ihr erlaubt doch …?« Sie küsste Arlette auf beide Wangen, und weil sie einmal dabei war, machte sie bei Vitus, dem Magister und dem Zwerg gleich weiter. »Lebt wohl, und lasst mal von euch hören.«
    »Leb wohl, Polly,
goodbye
, Sue,
adiós
, Ann, auf Wiedersehen,
farewell, farewell
 …«
    Polly schlug einem der beiden Gäule kräftig auf die Hinterhand. »So, Jack, ab durch die Mitte, spätestens nächste Woche will ich dich hier wiedersehen. Und wehe, du hast deine Fuhre nicht ordentlich abgeliefert!«
    Jack grinste über alle Pockennarben seines Gesichts und ließ die Peitsche knallen. Langsam setzte das Gefährt sich in Bewegung.
    Polly, Sue und Ann winkten noch lange hinterher.
     
    Jack erwies sich als umsichtiger Fahrer, der nicht nur sein Handwerk verstand, sondern auch die Strecke wie seine eigene Tasche kannte. Am ersten Tag fuhren sie bis Exeter, wo sie gegen Mittag eintrafen und kurz rasteten. Dann ging es weiter, bei herrlichem Spätsommerwetter, durch Wiesen, Weiden und abgeerntete Felder. Die Luft war frisch und roch nach Meer, denn sie fuhren stets nah an der Küste. Spät am Abend trafen sie in Charmouth am Kanal ein, wo sie eine einfache, aber leidlich saubere Unterkunft fanden. Vitus, der sehr besorgt wegen Arlettes Zustand war, fragte sie: »Und du bist sicher, Liebste, dass die Schaukelei dem Kind nicht geschadet hat?«
    Sie legte den Zeigefinger in sein Grübchen und antwortete: »Ja, Liebster. So sicher wie bei den anderen hundert Malen, die du mich schon gefragt hast.«
    »Verzeih, ich bin einfach in Sorge. Das Gerumpel kann doch nicht gut sein für unser Kind.«
    Sie lachte. »Unser Kind liegt warm und sicher in einer gut gepolsterten Hülle. Du als Arzt müsstest das eigentlich wissen.«
    »Natürlich, natürlich. Ich weiß das alles. Aber … wie soll ich sagen? Bei dem eigenen Kind ist alles irgendwie anders.«
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie.
    »Ich liebe dich auch. Mehr als mein Leben.«
     
    Am zweiten Tag brachen sie schon im Morgengrauen auf, wandten sich von der Küste ab und lenkten die Pferde in Richtung Dorchester, dem antiken Durnovaria, wo schon die Römer gesiedelt hatten. Sie aßen gut und tranken von dem würzigen Ale, für das die Stadt berühmt war. Bevor sie weiterfuhren, beauftragte Vitus einen Boten, nach Greenvale Castle vorauszureiten und ihr Eintreffen für den Sonnabend anzukündigen.
    Dann gönnten sie sich einen kurzen Mittagsschlaf, bevor sie erneut anspannten. Sie fuhren weiter, weiter und immer weiter, bis sie am Abend erschöpft in Bournemouth an der Poole Bay eintrafen. Hier nahmen sie Quartier in einem Gasthaus, das sich The Oxbow nannte. Der Wirt, ein ehemaliger Koch der Marine, ließ es sich nicht nehmen, ihnen eigens einen saftigen Rinderbraten auf Zwiebeln zu schmoren, eine Köstlichkeit, der sie aber nur in geringem Maße zusprachen, denn alle waren vor Müdigkeit wie gelähmt.
    Der dritte Reisetag führte sie durch die große Hafenstadt Southampton, eine Metropole, in der das Leben pulsierte. Sie passierten die alte normannische Stadtmauer, ließen King John’s Palace links liegen und machten, dass sie weiterkamen, denn die Stadt wirkte wenig einladend. Sie wandten sich südwärts, nach Portsmouth zu, wo sie am Nachmittag eintrafen. Sie waren froh über die zeitige Ankunft, denn sie glaubten, sich dadurch in Ruhe eine Bleibe für die Nacht suchen

Weitere Kostenlose Bücher