Der Chirurg von Campodios
Schritt in die Herberge – und nahm den Kopf sofort wieder zurück. Ein hölzerner Humpen hatte ihn um Haaresbreite verfehlt und schlug nun gegen die Wand.
»Amos Potter, du … du … du, Gabriel? Ja, da brat mir doch einer ’nen Storch!« Polly hatte schon einen zweiten Humpen in der Hand, setzte diesen nun aber krachend wieder ab. »Ich werd verrückt! Gabriel!« Sie stürzte auf Vitus zu. »Mensch, Gabriel, ich hätte nie geglaubt, dich noch mal lebend wiederzusehen.« Ohne darüber nachzudenken, küsste sie ihn geräuschvoll auf beide Wangen. »Bist du allein?«
Als Antwort schob sich der kleine Gelehrte grinsend durch die Tür. »Nein, Barnabas ist auch da.«
»Bei unserer Jungfräulichen Königin, die der Allmächtige behüten möge! Der Magister! Und da kommt auch noch die wandelnde Kriegskasse!« Polly schlug dem Winzling auf die Schulter, dass er in die Knie ging. »Ich muss euch Burschen wohl nicht sagen, wie ich mich freue, euch gesund und munter hier reinschneien zu sehen, und … und … ooohhhhh!«
»Und das ist meine Braut Arlette«, stellte Vitus vor.
Arlette stand in der Tür, schön wie ein Engel. »Guten Tag, Polly«, sagte sie, »ich freue mich, dich kennen zu lernen.«
»Ooohhhhh«, war noch immer das Einzige, was die Wirtin herausbrachte. Dann fasste sie sich und verfiel in einen tiefen Hofknicks, was, angesichts ihrer Männerhosen, einigermaßen komisch aussah. »Lady Arlette, es ist mir eine große, äh … Ehre, Euch in meinem bescheidenen Haus, äh …«
»Sag einfach, dass ich willkommen bin«, lächelte Arlette, »und sag Arlette zu mir. Vitus’ Freunde sind auch die meinen.«
»Will … willkommen, Arlette«, stotterte Polly, die sonst alles andere als auf den Mund gefallen war. »Bitte, nehmt Platz!« Sie zerrte eine Bank heran, an deren anderem Ende noch zwei Zecher saßen. »He, Will, he, Jock, für heute ist Schluss, bewegt eure Är …, äh … hoch mit euch, kommt morgen wieder.« Sie stemmte die Arme in die Hüften. »Herrschaften, das gilt für alle! Der Laden ist geschlossen, Privatgesellschaft!«
Maulend zogen die Zecher von dannen. Polly sperrte hinter ihnen die Tür ab und schrie: »Sue, bring Wein, den guten, du weißt schon, den samtigen Bordeaux!«
Sue, die ihren Auftrag in der Küchentür entgegengenommen hatte, knickste und verschwand.
»Das hätten wir schon mal. Nun setzt euch, ja, du auch, Enano. Wie ich dich kenne, hast du heute nur Luftklöße und Windsuppe geschnappt, stimmt’s?«
»Wui, wui, Frau Zapfhenne.«
»Ahhh, da kommt der Wein ja schon. Danke, Sue, stell die Becher vor uns hin. Ja, ich trinke auch einen, guck nicht so blöd. Lady Arlette bekommt zuerst, dummes Ding! Und dann sieh nach, was wir auf den Tisch bringen können. Ann soll mit dem Holzhacken aufhören, das hat Zeit bis morgen. Lass dir von ihr helfen. Ist noch von der frischen Lauchsuppe da? Gut. Bring die zuerst.«
Sich an Arlette wendend, fragte sie: »Es ist Euch doch recht, wenn wir mit einer frischen Suppe beginnen?«
»Aber ja, liebe Polly.« Arlette saß auf der groben Holzbank, als hätte sie nie woanders gesessen. »Eine Lauchsuppe ist genau das, was ich mir auf der langen Seereise immer gewünscht habe. Wundervoll! Wenn ich nur an das grässliche Pökelfleisch denke, das uns in den letzten Wochen aufgetischt wurde …«
»Pökelfleisch? Pfui Teufel!« Polly schnitt eine abfällige Grimasse. »Ich habe ein Stück frische Schweineschulter, das lasse ich für Euch kochen, anschließend wird es klein geschnitten und gebraten. Dazu gibt es Äpfel vom Markt, gewürfelt und in Schmalz gesotten, verfeinert mit Rosinen und zerstoßenem Ingwer … Sue! He, Suuue! Haben wir noch von dem arabischen Ingwer? Gut, gut. Wie findet Ihr das Rezept, Arlette?«
Wie sich herausstellte, kannte Arlette das Rezept nicht, fand die Zutaten aber sehr vielversprechend. Dasselbe sagte sie zum dritten und letzten Gang, für den Polly Salbeitorte vorgesehen hatte. Es handelte sich dabei um eine Köstlichkeit, bei der ein Dutzend Eier verquirlt und mit zwei Bechern Mehl, zwei Bechern gemahlenen Mandeln und einem Löffel gemahlenem Salbei zu einem Teig verknetet wurde. Der Teig kam anschließend in eine mit Schmalz ausgeriebene Form und wurde eine halbe Stunde lang ausgebacken.
»Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, Polly«, sagte Arlette und nahm einen winzigen Schluck Bordeaux. »Machst du auch manchmal gefüllte Eierkuchen mit Preiselbeersauce?«
»Nein, das Rezept kenne ich
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