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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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dich verlassen kannst.« Er küsste sie zärtlich und bettete ihren Kopf in seine Halsbeuge, denn es hatte sich gezeigt, dass sie in dieser Stellung am besten einschlafen konnten. »Ich liebe dich, Gott schütze dich.«
    »Ich liebe dich auch …« Sie schlief schon halb. »Aber das weißt du ja …«
     
    Am anderen Morgen beim Ankleiden bemerkte Arlette winzige rote Punkte an ihren Fesseln, juckende Stellen, die ganz nach Flohbissen aussahen. »Nun guck dir das an, die Viecher haben mich doch überfallen!«
    Vitus eilte zu ihr und betrachtete die Punkte. »Es sind tatsächlich Flohbisse. Ich als dein Ritter habe versagt, bitte vergib mir.« Er guckte so komisch verzweifelt, dass sie lachen musste:
    »Ach was, ein paar Bisse bringen mich nicht um. Aber jucken tut es. Je mehr man an den Stichen reibt, desto schlimmer wird es.«
    »Warte, Liebste, vielleicht haben wir Glück!« Er verschwand mit Riesensätzen aus dem Raum und war kurz darauf zurück, strahlend eine grüne Pflanze in der Hand schwenkend. »Farnkraut! Einfaches Farnkraut, wie es überall wächst. Ich werde es auf den Stellen verreiben, und du wirst sehen, dass der Juckreiz im Nu wie fortgeblasen ist.«
    Er behielt Recht. Und als Arlette später nach einem kärglichen Morgenmahl in die Kutsche stieg, war der kleine Zwischenfall längst vergessen.
    Auch an diesem Tag meinte das Wetter es gut mit ihnen. Die Sonne schien warm von einem Himmel herab, dessen Blau nur dann und wann von ein paar Wolken unterbrochen wurde. Bauern auf den Feldern winkten ihnen zu, und in ihrer Vorfreude auf die baldige Ankunft begannen sie zu singen, wobei der Magister einige spanische Weisen vortrug und der Zwerg mit einem Ländler aus dem Askunesischen aufwartete. Auch Arlette konnte ein Lied beisteuern, es war eine traurige Melodie, welche die schwarzen Sklaven während der Feldarbeit auf Roanoke Island gesungen hatten. Und als die Reihe an Vitus war, hob der lachend die Schultern und sagte: »Ich könnte höchstens mit einem Gregorianischen Gesang dienen, aber das dürfte wohl kaum angemessen sein.«
    Die heftigen Proteste der anderen wehrte er ab, indem er weit den Arm aus der Kutsche streckte. »Seht mal, da im Süden taucht ein Kirchturm auf. Er gehört zur Kathedrale Holy Trinity in Chichester. Er ist als einziger in ganz England so hoch, dass man ihn sogar vom Meer aus sehen kann und …«
    »Das ist weiß Gott bekannt«, schnitt ihm der kleine Gelehrte das Wort ab. »Schließlich habe auch ich schon eine Weile hier in der Gegend gewohnt. Und zwar mit dir und Enano auf Greenvale Castle, falls du das vergessen haben solltest.«
    »Wui, wui, so isses.«
    »Ach, Greenvale Castle«, seufzte Arlette, »ich kann es kaum erwarten anzukommen!«
    Aber es dauerte noch geraume Zeit, bis sie das Ufer des Adur erreichten, von wo aus es nur wenige Meilen bis zum Schloss waren. Unterdessen hatte die Dunkelheit eingesetzt, und die Freunde fragten sich, ob zu so später Stunde überhaupt noch jemand von den Bediensteten auf den Beinen war.
    »Da sind sie! Das müssen sie sein! Sie kommen!«, schrie plötzlich jemand neben ihrer Kutsche. »Sie sind es tatsächlich! Lauf voraus, Wat, und sag Bescheid!« Eilige Schritte entfernten sich, während die Kutsche im Bogen durch das kleine Wäldchen fuhr, das den Blick auf Greenvale Castle verdeckte.
    »Ich glaube, das war die Stimme von Keith«, vermutete Vitus, »vielleicht sind doch noch nicht alle schlafen gegangen und … großer Gott!« Vor der Freitreppe des Schlosses erstrahlte ein einziges Lichtermeer. Diener, Knechte, Mägde, Gärtner, alle dienstbaren Geister des Hauses standen da, hielten Kerzen, Laternen oder Windlichter in der Hand, in den Bäumen hingen Lampions, und sämtliche Fenster des alten Baus waren hell erleuchtet. Wie auf Kommando sprach das ganze Gesinde mit einer Stimme:
»Welcome to Greenvale Castle, Lady Arlette, welcome, Mylord!«
    »Ich bin überwältigt«, flüsterte Arlette mit Tränen in den Augen, doch blieb ihr keine Zeit, sich zu besinnen, denn schon wurde die Tür der Kutsche von außen aufgerissen, und hilfreiche Hände streckten sich ihr entgegen. »Oh, Hartford?«
    »Jawohl, Mylady. Zu Euren Diensten.« Hartfords Gesicht, sonst stets leicht blasiert wirkend, strahlte mit den Lichtern um die Wette.
    »Danke, Hartford.« Mit einem graziösen Schritt betrat Arlette den angestammten Boden ihrer Familie. Vitus folgte ihr auf dem Fuße. Danach kletterten der Magister und der Zwerg aus der Kutsche. Lichter und

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