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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Kerzen waren inzwischen auf der Treppe abgesetzt worden, und jeder, der freie Hände hatte, klatschte. Einzelne Rufe wurden laut, Lachen erscholl, die Spannung, unter der alle gestanden hatten, lockerte sich zusehends. Vitus trat vor die Wartenden hin und musterte die vertrauten Gesichter: Da stand Keith mit den abstehenden Ohren, dessen stolzes Grinsen signalisierte, dass er es tatsächlich gewesen war, der ihre Ankunft gemeldet hatte. Daneben Wat, ebenfalls grienend, dann die Mägde der Küche, darunter die schneckenlangsame Mary und die hilfsbereite Marth, sodann Mrs Melrose, die ihren unwirschen Gesichtsausdruck ausnahmsweise einmal gegen einen freundlichen Blick ausgetauscht hatte, und die vielen, vielen anderen. Und Catfield. Er trat aus ihrer Mitte hervor, mit einer Miene, die dem freudigen Anlass kaum entsprach. Er verbeugte sich kurz und sagte mit großem Ernst:
    »Auch ich entbiete Euch meinen Willkommensgruß. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, darf ich Euch versichern, dass sowohl im Schloss als auch im Gutsbereich alles zur Zufriedenheit läuft. Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise und …« Er brach unvermittelt ab und schaute verlegen auf Arlette, die sich neben Vitus gestellt hatte.
    Vitus fiel ein, dass es das erste Mal war, dass Arlette und Catfield einander gegenüberstanden, seit der Verwalter sich ihr an Bord der
Phoenix
unsittlich genähert hatte. In der Tat war es so gewesen, dass er ihr nur einen Kuss hatte rauben wollen, aber die Situation hatte so gefährlich ausgesehen, dass Vitus auf ihn losgestürzt war und ihm die Nase eingeschlagen hatte. In gewisser Weise musste Vitus ihm für seine Tat sogar dankbar sein, denn nur dadurch hatte er Arlette näher kennen gelernt.
    »Guten Abend, Catfield.« Mit ihrem Lächeln, dem keiner widerstehen konnte, ging Arlette auf den Verwalter zu und bot ihm die Hand. »Ich bin froh, dass Ihr während unserer Abwesenheit so gute Arbeit geleistet habt.«
    »Guten Abend, Mylady. Danke, Mylady. Nicht der Rede wert, Mylady.« Catfields Stimme klang wie zugeschnürt, während er zögernd ihre Hand ergriff und einen Handkuss andeutete. »Ich habe bei Mrs Melrose veranlasst, dass eine leichte Abendmahlzeit bereitsteht. Der Tisch im Grünen Salon ist bereits eingedeckt.«
    »Ihr müsst Gedanken lesen können«, strahlte Arlette, die seine Unsicherheit nicht im Mindesten zu bemerken schien, »ein kleiner Imbiss wäre jetzt genau das Richtige. Bitte sorgt aber auch dafür, dass der Kutscher etwas zu essen bekommt.«
    »Das ist kein Problem. Wie Mrs Melrose mir vorhin versicherte, hat sie noch eine Fleischsuppe auf dem Feuer.« Catfield gewann langsam seine Fassung wieder. Er wandte sich an die Umstehenden. »Und ihr, Leute, geht jetzt ins Bett oder an die Arbeit, je nachdem. He, Wat, schnapp dir ein paar Kerle, die sich um das Gepäck kümmern, Keith, spann die Pferde aus, und Ihr, Mrs Melrose, seid so gütig und gebt dem Kutscher in der Küche etwas zu beißen. So, das hätten wir. Gestattet Ihr, dass ich vorangehe, Mylady?«
    »Ich gestatte es«, lächelte Arlette, die sich bei Vitus eingehakt hatte.
    Mit federnden Schritten eilte Catfield die Stufen der Freitreppe empor. Vor dem Grünen Salon angekommen, winkte er Hartford heran: »Du, Hartford, wirst bei Tisch aufwarten, und zwar mit einem freundlichen Gesicht, wenn ich bitten darf, auch wenn du mit dem Servieren nicht mehr so in Übung bist, seit du mir bei der Verwaltung assistierst.« Er verbeugte sich vor Arlette und Vitus und sagte: »Wendet Euch getrost mit allen Wünschen an Hartford. Und nun erlaubt, dass ich mich zurückziehe. Auf mich wartet noch einige Schreibtischarbeit. Gute Nacht, Mylady, gute Nacht, Mylord.«
    »Gute Nacht, Catfield.« Vitus musste sich zusammennehmen, um nicht zu stottern, denn zum ersten Mal hatte der Verwalter ihn »Mylord« genannt. Offenbar war es für ihn – und wohl auch für alle anderen – beschlossene Sache, ihn künftig so zu nennen. Und wenn man bedachte, dass er, Vitus, der einzige noch lebende männliche Collincourt war, so stand dieser Anrede wohl nichts im Wege.
    Dennoch: Es war ein seltsames Gefühl. Und er musste sich erst noch daran gewöhnen.
     
    Den Sonntagvormittag nutzten Vitus, Arlette, der Magister und der Zwerg zum Kirchgang, wozu sie eigens nach Worthing fuhren. Der Magister, der zunächst nicht mit von der Partie sein wollte, da er katholischen Glaubens war, hatte sich schließlich anders entschlossen und verkündet: »Wenn der Pfarrer zu

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