Der Chirurg von Campodios
die Stimme. Nun«, setzte er versöhnlich hinzu, während er eine Portion vom Spanferkel kostete, »wir sind alle Sünder im Herrn. Übrigens, die Speisen auf Greenvale Castle sind heute wieder einmal vorzüglich, ganz vorzüglich. Nicht wahr, Doktor?« Er griff nach seinem Weinpokal und spülte den Bissen hinunter.
Burns, der nur sparsam den präsentierten Genüssen zusprach, nickte. »Sie sind einer Königin und ihres Geburtstages würdig.«
»Ihr sagt es.« Der Reverend stellte sich ächzend auf die Beine. »Mit Eurer Erlaubnis, Mylord, möchte ich einen Toast auf unsere Gloriana, unsere Jungfräuliche Königin, ausbringen.« Er hob seinen Pokal und rief mit jahrelang geschulter Kanzelstimme: »Ruhe. Ich bitte um einen Augenblick Gehör! Ruheee! Das gilt auch für die Musikanten! Jeder stehe auf und erhebe seinen Becher!
Wir danken dem Herrn,
unserem allmächtigen Schöpfer,
wir preisen Jesum Christum, der gekreuzigt,
gestorben und am dritten Tage auferstanden ist,
und wir loben Maria, die Gebenedeite,
die uns ihren eingeborenen Sohn schenkte,
weil wir heute bei guter Gesundheit
auf den Geburtstag unserer geliebten Herrscherin
trinken dürfen.
Unsere Königin Elisabeth, sie lebe:
hoch! … hoch! … hoch!«
Pound nahm einen gewaltigen Schluck und ließ sich, noch bevor er sich wieder setzte, von einem Diener nachschenken. »Nachdem nun der Verehrung von Gott dem Herrn sowie unserer Königin Genüge getan wurde, schmeckt es doch gleich noch einmal so gut.« Er häufte sich eine weitere Portion vom Ferkel auf seinen Teller.
»Ihr seid ein starker Esser«, bemerkte der kleine Gelehrte, und in seinem Tonfall schwang fast so etwas wie Neid mit.
»Man sieht’s aber auch, Herr Magister, man sieht’s!« Pound schlug sich auf den Wanst und lachte schallend. »Ich sage immer: ›Spare in der Zeit, so hast du in der Not! Und esse beizeiten, so viel wie du kannst!‹ Nach sieben fetten Jahren kommen sieben magere! Hahaha!«
Arlette, die sich den Gottesmann schwerlich mager vorstellen konnte, stand auf. »Ich für meinen Teil habe genug gegessen. Ich würde gern ein wenig herumgehen und mit den Leuten sprechen. Nein, nein, behaltet Platz, Reverend, auf Greenvale Castle isst jeder so lange, bis er satt ist.«
»Ich begleite dich, Liebste.« Vitus hatte sich ebenfalls erhoben.
»Das ist lieb von dir.« Sie nahm seinen Arm.
»Ich schließe mich euch an, wenn’s recht ist.« Der Magister nahm ein Mundtuch, tupfte sich die Lippen ab und folgte den beiden. Zurück am Tisch blieben der unverdrossen weiterspeisende Pound und der alte Arzt.
Die Freunde schlenderten zu einer Gruppe von Menschen, die einem Taschenspieler zusahen. Unter den Gaffern waren auch Mrs Melrose und der Zwerg. Während der Taschenspieler fortwährend Eier, Äpfel, Nüsse und anderes aus Ohren und Taschen der Zuschauer zog, hatte der Winzling sich ein eigenes Spiel ausgedacht. Er saß neben der dicken Köchin im Gras, und immer, wenn der Zauberer gerade etwas besonders Staunenswertes vollbrachte und Mrs Melrose demzufolge abgelenkt war, fuhr er mit seinem Ärmchen hinterrücks zu ihrer anderen Seite und zwickte ihr ins Gesäß.
»Autsch!« Zum wiederholten Male fuhr die dicke Köchin hoch, blickte vorwurfsvoll zur Seite, sah dort niemanden, blickte zur anderen Seite, wo der Zwerg angelegentlich die Possen des Taschenspielers bekicherte, konnte sich auf alles das keinen Reim machen und verfiel endlich auf die Idee, dass nur ein einziger Mensch für den dummen Spaß in Frage kam: »He, Bursche«, schimpfte sie, »hör auf damit, sonst wirst du Catherine Melrose kennen lernen.« Sie rieb sich die Stelle, die allmählich unangenehm schmerzte.
Der Taschenspieler kam heran und runzelte die Brauen. »Was sagst du? Ich soll aufhören? Aber ich habe doch gerade erst angefangen!« Spielerisch fuhr er ihr mit der Hand über die Nase und zog ein großes, offensichtlich schon stark benutztes Schnupftuch hervor.
Die Zuschauer lachten lauthals.
»Ist das dein Schnäuzlappen, Köchin?«
»N – nein.«
»Wui, wui, ’s is ihr Wischling!«
»Ja, so … Wenn du’s unbedingt wissen willst: Er gehört mir.« Mrs Melrose riss dem Zauberer das Tuch aus der Hand und stopfte es in die Tasche ihrer Schürze. Sie hatte bis kurz vor Beginn des Festes mit ihren Mägden in der Küche geschuftet und über der Vorfreude ganz vergessen, das gute Stück abzunehmen. »Autsch!« Wieder hatte ihr jemand in den Podex gekniffen, und der Taschenspieler hatte dabei
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